„Mein innerer ‚Trauer-Wecker‘ erinnert mich jährlich an Papas Todestag.”

„Kennst du auch den inneren Trauer-Alarm? Nein? Dann möchte ich dir gerne erklären, was ich damit meine: Mein Vater ist vor über 14 Jahren gestorben und mein Trauer-Wecker lässt mich den Schmerz jedes Jahr aufs Neue fühlen, wenn das Datum seines Todestages näher rückt.

Ich war 19 als mein Papa an Krebs erkrankte.

Sobald die Diagnose stand, ging alles ganz schnell. Wir hatten noch ein Jahr mit ihm. Er wollte kämpfen, versuchte es mit einer Chemo und war am Ende nur noch ein Schatten seiner selbst. Nie wieder in meinem Leben habe ich in so kurzer Zeit so viel geweint. Bis heute gibt es Momente, in denen ich denke, dass das alles nur ein böser Traum war, dass mein Vater mich gleich anruft oder vor meiner Tür steht.

Am 4. November 2006 ist mein Vater gestorben. Ich habe kaum Erinnerungen an die erste Zeit nach seinem Tod. Dafür weiß ich noch genau, wie schlimm das erste Weihnachten ohne ihn war, der erste Geburtstag, dann der erste Hochzeitstag meiner Eltern, den wir ohne Papa verbrachten. Ich konnte die ganze Zeit nur denken ‚Von jetzt an wird es immer so sein. Immer ohne ihn.‘

Doch nach ungefähr drei Jahren, spürte ich langsam, dass ich losließ.

Mein Vater war nicht mehr da, das Leben ging aber trotzdem irgendwie weiter. Ich beendete mein BWL-Studium, lernte meinen Mann kennen, wir bekamen ein Kind. Es gibt also zum Glück viel Neues und Schönes in meinem Leben, sodass ich oft abgelenkt bin von der großen Lücke, die mein Vater in meinem Leben hinterlassen hat. Aber dann ganz plötzlich, immer, wenn ich eigentlich gar nicht damit rechne, überfällt mich die Trauer wieder.

Es fühlt sich dann wirklich so an, als würde etwas in meinem Inneren Alarm schlagen. Wie jemand, der gerade aus dem Tiefschlaf gerissen wird, weiß ich dann zuerst gar nicht, was los ist. Ich fühle mich plötzlich extrem müde, unglaublich traurig, habe ständig Kopfschmerzen. Bis mein Blick auf den Kalender fällt und ich plötzlich all das einordnen kann: Etwas in mir erinnert sich daran, dass mein Vater gestorben ist.

Es ist mittlerweile wissenschaftlich belegt, dass traumatische Ereignisse die DNA eines Menschen verändern können.

Ich bin fest davon überzeugt, dass sich nicht nur mein Geist an den Verlust erinnert, sondern auch mein Körper. Während ich gedanklich noch abgelenkt bin, zeigt mir mein innerer Trauer-Wecker schon an, dass sich der Todestag meines Vaters jährt. Als mir das zum ersten Mal klar wurde, habe ich mir Hilfe bei einer Therapeutin geholt. Schließlich war mein Vater schon beinahe zehn Jahre tot, ich wollte nicht immer noch jährlich unter Trauerattacken zusammenbrechen.

Meine nette Therapeutin erklärte mir, dass ich wahrscheinlich rational überzeugt bin, nicht mehr trauern zu dürfen, weil nun schon einige Jahre vergangen sind. Aber eigentlich hätte ich mit dem traumatischen Verlust noch nicht abgeschlossen. Ein Satz von ihr ist mir besondern in Erinnerung geblieben: ‚Trauer hat keine Deadline.‘ Es gibt also keinen fixen Moment, an dem wir mit ihr fertig sind und sie final zu den Akten legen können.

Jeder Mensch trauert anders, das bezieht sich auch auf die Dauer.

Das Gute ist: Durch meinen inneren Trauer-Alarm spreche ich jetzt wieder viel öfter mit meinem Mann und meinen Freundinnen über meinen Vater. Was ihn ausgemacht hat, was er mir bedeutet hat. Ich habe wieder ein Bild von ihm im Wohnzimmer aufgehängt und ihn so mitgenommen – in mein neues Leben nach seinem Tod. Vor ein paar Monaten erzählte mir eine Arbeitskollegin plötzlich, dass sie auch einen inneren Weckruf spürt, wenn sich der Todestag ihres verstorbenen Mannes nähert.

Davor bin ich immer davon ausgegangen, dass so ein körperlicher Wecker für Trauer nur wenige Menschen begleitet. Als ich das Phänomen dann aber googelte, stellte sich heraus, dass das offenbar ganz viele Menschen kennen, die eine geliebte Person gehen lassen mussten. Manche berichten von plötzlichen Weinkrämpfen, Ohnmachtsanfällen oder dem berühmten Knoten im Magen, die ihnen auch Jahrzehnte später einen Todestag anzeigen.

Mir hat das Wissen darum geholfen, mit meinen Trauerschüben besser umzugehen. Vielleicht hilft meine Geschichte auch anderen, die jemanden verloren haben.


Vielen Dank, liebe Lina, dass Du Deine Geschichte mit uns geteilt hast. Wir wünschen Dir und Deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!

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Lena Krause
Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg. Am liebsten erkunde ich mit ihm die vielen grünen Ecken der Stadt. Auch wenn ich selbst keine Mama bin, gehören Babys und Kinder zu meinem Leben dazu. Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert und ich komme als „Tante Lena“ zum Einsatz. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach!

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