Kleinhirn-Zyste im Mutterleib: „Ich habe mein Baby nicht aufgegeben.”

„Ich möchte von meiner Tochter erzählen und zeigen, dass es sich lohnt, zu hoffen, zu beten und nie den guten Gedanken aufzugeben.

Mein Mann und ich haben uns nach unserem Sohn, der sich einfach so in unser Leben schlich, entschieden, noch ein Kind zu bekommen. Wir versuchten es und ich wurde auch direkt im ersten Zyklus schwanger. Dieses kleine Ding habe ich leider verloren. Als wir soweit waren, es erneut zu probieren, klappte es wieder direkt. Aber auch dieses Mal hatten wir absolut kein Glück.

Bis zur 12 SSW war nichts zu erkennen und ich musste ins Krankenhaus zur Ausschabung.

Das Datum, an dem wir unser ‚Klümpchen‘ gehen lassen mussten, hat sich eingebrannt. Beim nächsten Versuch klappte es auch direkt wieder. Dieses Mal konnte meine Frauenärztin im August ein kleines Häufchen Etwas mit kräftigem Herzschlag erkennen. Die Erleichterung und Freude waren riesig. Die Angst immer noch da, aber die nächsten Termine liefen sehr gut. Man konnte sehr früh erkennen, dass wir ein Mädchen bekommen sollen. Die perfekte Bilderbuchfamilie.

Als meine Ärztin aber für einen Tag ein neues Ultraschallgerät testen durfte, schaute sie sich unser kleines Ding genau an. Dabei konnte sie plötzlich eine kleine Blase im Gehirn am Kleinhirn sehen. Sie überwies uns direkt zur Feindiagnostik, Verdacht auf eine Arachnoidalzyste. Mehr sagte sie nicht dazu, wahrscheinlich um uns nicht zu verunsichern. Es kommt wohl schon mal vor, dass sich im Gehirn eine Zyste bildet, die verschwindet dann aber wieder.

Nach der Feindiagnostik war klar: Es ist eine Zyste am Kleinhirn.

Klar abgetrennt von der Hirnstruktur, knappe 2 cm Durchmesser. Das war in ihrem Fall schon ca. 1/5 des Kopfes. Nach vier Wochen hatten wir wieder einen Kontrolltermin. Unsere Hoffnung war, dass die Zyste irgendwann von selbst verschwindet. Nach vier Wochen wurde wieder gemessen. Die Zyste war noch da, war sogar gewachsen und hatte schon 3 cm Durchmesser, wir sollten abwarten. Der nächste Kontrolltermin war wieder acht Wochen später, fiel dann schon in die 32. SSW.

Wirklich eine klare Aussage, wie es unserer Tochter gehen wird, haben wir nicht bekommen. Trotzdem haben wir uns gegen das Googeln entschieden, da kommt eh nichts Gutes bei raus. Ich dachte mir: Das ist nur eine Zyste, sie fordert nur Raum, einfach punktieren und fertig. Nach acht Wochen war zu erkennen, dass die Zyste weitergewachsen ist. Inzwischen hatte sie 5 cm Durchmesser – das ist für so einen kleinen Babykopf verdammt viel!

Dieses Mal wurden wir direkt in die Uniklinik überwiesen.

Diese befand sich eine Stunde Fahrtzeit und 100 km weit weg von zu Hause. Wir sollen schonmal darüber nachdenken, dort zu entbinden. Es gäbe in anderen Kliniken keine guten Neurochirurgen, die Babys operieren. Damit stand fest, unser kleines Baby – noch nicht mal auf der Welt – wird operiert werden müssen. Wir bekamen einen Termin dort. Der Professor schaute sich die Zyste an. Sie war riesig.

Er telefoniere mit den Neurochirurgen, Neonatologen und rief auch im Kreißsaal an. Ich hatte so unfassbar schreckliche Angst, auch wenn ich schon mit gepackter Tasche in die Klinik gefahren bin. Arachnoidalzyste, Mega Cisterna Magna, das stand alles im Raum. Für die Geburt sollte sichergestellt werden, dass sie direkt beatmet werden kann.

Die Ärzte gingen davon aus, dass sie nicht atmen wird, da die Zyste direkt auf das Atemzentrum drückte.

Einen Tag vor dem Kaiserschnitt-Termin hat das kleine Baby selber entschieden, dass es zur Welt kommen will. Plötzlich hatte ich einen Blasensprung und wusste, dass es losgeht. Nach Rücksprache mit der Klinik sind wir selber mit dem Auto dorthin gefahren. Am Ende hatte ich Wehen im Abstand von vier Minuten und wusste, dass wir noch 50 km bis in die Klinik fahren müssen.

Zum Glück haben wir es trotzdem noch rechtzeitig in die Klinik geschafft. Der Kaiserschnitt wurde vorbereitet, dann ging alles so schnell. Als sie unsere Tochter aus meinem Bauch geholt haben, hatten wir solche Angst, dass sie nicht atmet. Aber entgegen den Erwartungen atmete und schrie sie kräftig. Dann ging es aber los: Es wurde sofort ein MRT gemacht und die Bilder waren erschreckend.

Das Kleinhirn war fast gar nicht vorhanden, alles war voller Zyste.

Die hatte inzwischen eine Größe von 8x6x4 cm. Trotzdem waren wir optimistisch – sie atmete doch alleine. Also sollte sie operiert werden. Allerdings wurde keine einfache Punktion durchgeführt, sie bekam einen VP-Shunt, eine dauerhafte Ableitung der Flüssigkeit in den Bauch, mit einem Ventil zum Einstellen der Durchflussmenge. Den Shunt wird sie immer behalten. Der Tag der OP war schrecklich. Wir konnten es kaum ertragen zu sehen, wie sie beatmet wurde, das kleine Häufchen Mensch.

Der Weg in den OP, die mitleidigen Blicke der anderen Menschen, weil ein Baby in den OP gebracht wurde, das werde ich nie vergessen. Vor dem OP sollte ich mich verabschieden, aber das tat ich nicht. Ich sagte nur ‚bis gleich, ich liebe dich‘. Die Zeit zog sich. Knapp fünf Stunden später wurde ich angerufen, meine Tochter war zurück auf Station. Als ich sie endlich wiedersah, hatte sie riesige Pflaster auf dem Kopf und Elektroden am Körper. Die Schnitte der Neurochirurgen waren gut zu sehen.

Aber es lief alles nach Plan – zunächst.

Die Flüssigkeit war komplett unauffällig. Es sollte nur noch abheilen, dann hätten wir endlich nach Hause gedurft. Doch am nächsten Tag bildete sich ein Liquorkissen, eine Beule mit Hirnwasser, welches sich durch das Bohrloch drückte. Die Ärzte sagten uns, das wäre ganz normal. Doch drei Tage später wurde es immer größer. Die Fontanelle sank ein und sie verlor zu viel Hirnwasser. Abends kamen die Neurochirurgen.

Das Ventil wurde verstellt, das Liquorkissen punktiert. Anschließend bekam unsere Tochter einen Druckverband und wurde leicht erhöht gelagert. Aber nach ein paar Tagen bildete sich wieder ein Kissen. Am Samstag wurde gesagt, es muss operiert werden, das kann so nicht bleiben. Am Sonntag gab es eine letzte Kontrolle vor der angesetzten OP. Ich war dabei, als die Neurochirurgin kam. Sie entfernte das Pflaster und das Liquorkissen war nicht mehr zu sehen: Keine Beule mehr, nichts mehr. Alles weg!

Die Chirurgin war total erstaunt und hätte damit nicht gerechnet.

Die OP war vom Tisch. Wir mussten noch ein paar Tage zur Beobachtung bleiben und wurden dann endlich entlassen. Wir waren so unendlich glücklich. Nach fast vier Wochen im Krankenhaus dürfen wir nach Hause.

Vor der Entlassung wurden uns sämtliche Symptome beschrieben, mit denen wir wieder vorstellig werden sollen. Obwohl wir gehofft hatten, dass es dazu nicht kommen würde, blieben wir leider wieder nicht verschont. Nach nicht mal zwei Wochen waren wir wieder in der Klinik, da die Fontanelle erneut eingesunken war. Dazu hatte unsere Tochter Durchfall und Erbrechen. Zum Glück konnte ausgeschlossen werden, dass es an dem Shunt lag, es war ‚nur‘ Magen-Darm und nach zwei Tagen wurden wir wieder entlassen.

Die Angst bleibt trotzdem, dass jeden Moment etwas passieren kann.

Dass der Shunt nicht mehr funktioniert oder sie irgendwie beeinträchtigt sein wird. Stand jetzt ist sie unauffällig, das Kleinhirn hat sich wunderbar entfaltet und alles sieht so aus, wie es sein soll. Ausgeschlossen werden kann trotzdem nichts. Und so bleibt die Sorge.

Trotzdem sind wir so unglaublich froh, nach dieser dunklen Diagnose mit einem blauen Auge davon gekommen zu sein. Es lohnt sich, niemals die Hoffnung aufzugeben. Es ist alles viel besser ausgegangen als anfangs gedacht.


Liebe Jessie, vielen Dank, dass du uns deine Geschichte anvertraut hast. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!

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Lena Krause
Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach! Bevor ich bei Echte Mamas gelandet bin, habe ich Literatur und Medienwissenschaften studiert und nebenbei in einer Agentur als Texterin gearbeitet. Danach habe ich im Lokaljournalismus angefangen und sogar mit meinem Team den „Vor-Ort-NRW-Preis” gewonnen. Die große Nähe zu Menschen und Lebensrealitäten habe ich dort lieben gelernt und das lasse ich jetzt in unsere Echten Geschichten einfließen. Die sind mir nämlich eine Herzensangelegenheit, genauso wie die Themen Vereinbarkeit, Female Empowerment und Psychologie.

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