„Ich hatte vergessen, dass jeder Tag ein Geschenk ist.“

Oftmals nimmt uns der Alltag so sehr ein, dass unsere Tage nur so vorbeirasen. Kein Moment zum Innehalten, kein Gedanke daran, wie gesegnet wir eigentlich sind, wenn unsere Familie gesund ist, wir nicht hungern oder frieren müssen.

Unser Glück wird zur Selbstverständlichkeit.

Wahrscheinlich lässt sich das in all der Hektik kaum vermeiden und ist leider ganz normal. Doch manchmal passieren dann Dinge, die uns doch ins Grübeln bringen.

Von so einem prägnanten Erlebnis erzählt Jenny Albers von A Beautifully Burdened Life. Die Zweifach-Mama schreibt in einem bewegenden Blogbeitrag, wie sie den zweiten Geburtstag ihres kleinen Sohnes erlebte:

„Sein zweiter Geburtstag kam und ging mit wenig Trara. Um ehrlich zu sein, wenn seine große Schwester uns nicht alle zehn Sekunden daran erinnert hätte, hätte es gut sein können, dass er vorüber gewesen wäre, ohne, dass wir groß drüber nachgedacht hätten.

Wir waren mitten im Umzugsstress. Hektisch am Packen und verzweifelt darum bemüht, unser altes Haus für die Besichtigungen potentieller neuer Käufer vorzeigetauglich zu halten. Ausserdem war das Geburtstagskind krank – Drei-Tage-Nicht-Geschlafen krank. Also hatte natürlich keiner von uns geschlafen.

Wir waren also alle ausgelaugt und gestresst, und niemand war in Party-Stimmung. Na gut, vielleicht seine Schwester. Es schien ein ganz normaler Tag zu sein.

Bis wir dramatisch daran erinnert wurden, dass es alles andere als normal war.

Als wir dabei waren, zu einem Freund zu fahren, um dort zu feiern (ein Boden voller Kuchenkrümel und zerknittertem Geschenkpapier ist nämlich verpönt bei potentiellen Hauskäufern), entkamen wir nur knapp einem fatalen Autounfall.

Wir sahen sie schon von Weitem, durch eine Kurve rasend, kurz davor, die Kontrolle über den Wagen zu verlieren. Als ihr Auto uns entgegen kam, fuhren wir direkt in einen Graben. Wir wussten, dass dies unsere sicherste Option war.

Als ihr Wagen verunglückte, schoss unser wieder aus dem Graben und stoppte. Wir saßen für einige Minuten einfach nur da, und fühlten uns genauso, wie unser Auto war: mehr oder weniger angeschlagen, aber vollkommen intakt. Unsere Herzen rasten, unsere Körper zitterten, und unsere Augen waren voller Tränen. Es war knapp. 

Und dann traf es mich. Nicht der rasende Wagen. Aber die Erkenntnis, dass ich den Tag für selbstverständlich gehalten habe. Ein Geburtstag, wie alle Tage. Und so viele Tage davor.

Jeder Tag wahrend der Schwangerschaft mit diesem Regenbogen-Baby schien wie Folter. Meine Schwangerschaft mit ihm fühlte sich gefährlich an, für ihn und für mein Herz. Mir war überaus bewusst, dass jeder Tag ein Segen war. Dass jeder Tag, an dem sein Herz in meinem Bauch schlug, ein Wunder war.

Aber ab dem Moment, zwei kurze Jahre ist es her, als sie ihn mir in die Arme legten, sein Schrei den Raum füllend, begann ich bequemer zu werden.

Ich war aus hier: zwar angeschlagen, aber intakt. Da wir dem Unglück der Fehlgeburt entkamen, glaubte ich, dass wir die sichere Zone erreicht hatten. Dass, sobald er atmend und blühend in die Welt eingetreten ist, wir anfangen könnten uns zu entspannen. Dass es der härteste Teil wäre, die Unberechenbarkeit meines pingeligen Mutterleibes zu überleben.

Eigentlich wusste es natürlich schon damals besser. Und jetzt weiß ich es immer noch besser. Aber anscheinend habe ich eine Erinnerung gebraucht.

Irgendwo zwischen damals und heute hatte ich es vergessen. Vergessen, dass jeder Tag ein Geschenk ist. Im Mutterleib und außerhalb.

Ich habe mich im Alltag verloren und vergessen, was das alles für ein Wunder ist. Das Leben ist ein Geschenk. Jeder Tag, an dem wir atmen, ist ein Wunder. Sogar wenn besondere Tage normal sind oder wenn normale Tage uns mitgenommen hinterlassen. Ich hoffe, er erinnert sich daran. Dass – egal was auch immer die Umstände des Tages sind – wir über das Alltägliche hinauswachsen und über die Wunder des Lebens staunen müssen. Auch wenn es nur für einen kurzen Moment ist.

Weil dieser kurze Moment des Staunens unser letzter sein könnte.“

Tamara Müller
Als süddeutsche Frohnatur liebe ich die Wärme, die Berge und Hamburg! Letzteres brachte mich vor sieben Jahren dazu, die Sonne im Herzen zu speichern und den Weg in Richtung kühleren Norden einzuschlagen. Ich liebe die kleinen Dinge im Leben und das Reisen. Und auch wenn ich selbst noch keine Kinder habe, verbringe ich liebend gerne Zeit mit ihnen.

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