Ja zum Nein! Denn es ist nicht bedürfnisorientiert, immer nachzugeben

Erziehen ohne Strafen und Schimpfen – das klingt wunderbar. Wie das Versprechen von etwas mehr Bullerbü im Leben. Können wir das nicht alle gebrauchen? Manche denken allerdings, bedürfnisorientierte Erziehung bedeute, dem Kind niemals ein Nein „anzutun“. Dabei handelt es sich aber um ein Missverständnis.

Ein Nein frustriert das Kind – und das ist voll okay so

„Nein, du bekommst kein Stück Kuchen mehr, du hattest schon zwei.„  „Ich will aber noch mehr.“ Die Unterlippe deines Kindes zittert und du weißt, was jetzt folgt. Dabei hast du gerade viel Lust auf einen friedlichen Nachmittag. Vielleicht wäre es besser, nachzugeben und eine Ausnahme zu machen…  Aber wem zuliebe würdest du es tun? Für dein Kind oder deine Bequemlichkeit?

Ausnahmen sind für mich nicht grundsätzlich ein No-Go. Klar sollten Ansagen, die wir unserem Kind machen, so zuverlässig wie möglich sein, aber wer ist schon immer konsequent? Wenn du jedoch weißt, dass dein süßer Trotzkopf auf zu viel Zucker erst überdreht, dann komplett erschöpft reagiert oder schon die letzten Tage voller Ausnahmen waren, tust du ihm mit einem klaren Nein vielleicht doch den größeren Gefallen. Selbst dann, wenn dein Kind das gerade nicht einsieht und dir die Freundschaft kündigt. Wie sollen unsere Kinder es lernen, Frust zu ertragen, wenn sie niemals auf ein Hindernis stoßen?

Es ist verständlich, dass Eltern ihre Kinder ungerne enttäuschen und ihnen deshalb jeden Wunsch von den Augen ablesen möchten. Es gibt aber einen Unterschied zwischen Wünschen („Ich will das rote Auto“, „Du sollst jetzt mit mir Lego bauen“) und echten Bedürfnissen (Nähe, Sicherheit, Nahrung, etc.). Ein Nein zu einem Wunsch ist vollkommen okay! Dein Kind hat nämlich ein Bedürfnis, das noch viel dringender ist, als der Wunsch, sich noch das drittes Stück Kuchen reinzuschaufeln: Mama und Papa sollen ihm einen geborgenen Rahmen vermitteln.

Auch ein Nein kann Liebe zeigen

Gesunde Grenzen bieten Halt und Orientierung. Gibst du dauernd um des lieben Friedens willen nach, ist euer Leben erstmal einfacher. Für dein Kind wird es so aber schwerer, ein (notwendiges) Nein zu akzeptieren.

Die „gesunden Grenzen“ gibt es wirklich. Sie dienen unter anderem der Sicherheit und körperlichen Unversehrtheit deines Kindes. Du musst es im Auto anschnallen, auch wenn es das nicht möchte. Es kann nicht einfach so von der fünf Meter hohen Mauer springen. Und es sollte auch besser keine ganze Torte essen – zumindest nicht häufiger als einmal im Jahr. Ein bisschen Pippi Langstrumpf muss sein.

Sogar für Jesper Juul, der unsere Vorstellungen von einer wertschätzenden Beziehung zwischen Eltern und Kind maßgeblich geprägt hat, steht fest: Ein klares Nein aussprechen zu können, gehört zur Elternrolle unbedingt dazu (Buch-Tipp: Nein aus Liebe: Klare Eltern – starke Kinder, (Affiliate Link), 9,95 Euro, Beltz).

Manchmal genügt auch ein flexibles Nein

Allerdings sollte auch kein Machtringen entstehen, bei dem du unbedingt die Gewinnerin bleiben musst, um deine Autorität zu wahren. Überlege dir am besten vorher, ob dein Nein wirklich unabdingbar und unabänderlich ist. Bist du dir eigentlich nicht so sicher, probiere es mal mit einem „flexiblen Nein“, bei dem ein Verhandlungsspielraum bleibt. Du könnest es als Ich-Botschaft formulieren („Ich möchte das nicht so gerne, weil…“). Vielleicht hat dein Kind ja ein Argument, das dich überzeugt? Oder ihr könnt gemeinsam eine Alternative finden?

Bist du im Grunde überzeugt von deinem Nein, dann stehe dazu. Erkläre deinem bockenden Kind, warum du seinen Wunsch nicht erfüllen wirst. Bleibe knapp, klar und freundlich – ausschweifende Erklärungen verwirren nur. Wiederhole dein freundliches Nein notfalls wie eine Schallplatte mit Sprung, bis es deinem Kind zu doof wird. Wichtig ist nur, dass du den Wunsch deines Kindes nicht klein oder gar lächerlich machst, um deine Ablehnung zu rechtfertigen. „So eine hässliche Puppe braucht doch kein normales Kind!“ Damit verletzt du es unnötig. Es ist okay, wenn du Nein sagst. Aber es ist auch okay, sich eine Puppe zu wünschen, die deinem Geschmack nicht entspricht.

Fingerspitzengefühl ist beim Ablehnen eines Wunsches schon deshalb wichtig, weil sich hinter einem Wunsch ein echtes Bedürfnis verstecken kann. Vielleicht geht es deinem Kind gar nicht so sehr darum, dass du mit ihm sofort alle seine Kuscheltiere verarztet, während du gerade noch etwas Wichtiges zu erledigen hast. Vielleicht will es vor allem Nähe tanken. Dann ist es gut, in irgendeiner Form darauf einzugehen. Vielleicht könnt ihr erst gemeinsam die Wäsche ausräumen und dann ein bisschen kuscheln oder spielen?

Und was ist mit einem „egoistischen“ Nein?

Ein Nein ist übrigens auch dann okay, wenn es dafür nur eine einzige Rechtfertigung gibt: dein eigenes Bedürfnis. Du bist im Moment viel zu erschöpft, um einen Legostein auf den anderen zu setzen? Dann sage es deinem Kind, denn auch deine Bedürfnisse zählen. Du könntest zum Beispiel sagen: „Ich bin gerade sehr müde und möchte hier noch einen Moment sitzen bleiben und Kaffee trinken. Danach fühle ich mich bestimmt gleich frischer.“

So klingt es eigentlich gar nicht wie ein Nein, sondern wie ein Ja. Ein Ja für dich selbst, bei dem dein Kind etwas Wichtiges lernt: Auch andere Menschen haben Bedürfnisse, und für seine Bedürfnisse darf man ehrlich einstehen.

Jana Stieler
Ich lebe mit Mann und Sohn im Süden Hamburgs – am Rande der Harburger "Berge" (Süddeutsche mal kurz weghören: Der höchste Punkt misst immerhin sagenhafte 155 Meter ü. M.). Wenn ich nicht gerade einen Text verfasse, liebe ich Outdoor-Abenteuer mit meiner Familie, lange Buch-Badewannen-Sessions mit mir allein und abendliches Serien-Binge-Watching.

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