„Ich wünschte, ich hätte abgetrieben und meine Tochter nie bekommen“

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Dieser Text thematisiert Abtreibung und Vergewaltigung. Er behandelt also Inhalte, die einige Menschen beunruhigend oder verstörend finden könnten.


Ich wünschte ich hätte eine späte Abtreibung gehabt, anstatt meine Tochter zu bekommen“, diese heftige Aussage löst wohl bei den meisten Menschen Entsetzen aus – wie kann eine Mama so etwas sagen? Der Satz stammt von Dina Zirlott, sie erzählte ihre Geschichte in der HuffPost.

„It would have been a kindness… and perhaps I could have been spared as well.“

Gepostet von HuffPost am Dienstag, 16. Februar 2021

Doch wer weiterliest, bekommt deutlich vor Augen geführt, dass wir manchmal so wahnsinnig schnell darin sind, andere Menschen zu verurteilen, ohne sie oder ihre Beweggründe zu kennen. Dina braucht nur zwei Sätze, um sich vorzustellen: „Ich wurde vergewaltigt, als ich 17 Jahre alt war, ich bekam ein Kind mit 18. Mein Baby starb, als ich 19 Jahre alt war.” Wenige Worte, aus denen extrem viel Leid spricht.

Ausgerechnet ein Freund nutzte ihr Vertrauen aus, um die furchtbare Tat zu begehen.

Sie erinnert sich, dass sie ihn zu sich einlud, um einen Film zu gucken. Als er seine Hand auf ihr Bein legt, sagt sie ihm, dass er aufhören soll, aber er antwortet nur: „Ich will aber nicht!” Um sich aus der unangenehmen Situation zu befreien, geht sie in die Küche. Er folgt ihr, drückt sich von hinten an sie, hält sie fest. Dina versucht verzweifelt sich zu wehren, aber irgendwann gibt sie auf, beobachtet wie in Trance, was mit ihrem Körper geschieht.

Als nächstes erinnert sie sich daran, wie sie „danach“ alleine auf dem Küchenboden sitzt und mechanisch Blut vom weißen Boden wischt. Sie hätte in dem Moment nicht begreifen können, was ihr passiert sei. Sie fühlte sich wie eine Maschine, konnte nicht mal die Berührung ihrer eigenen Hände ertragen, als sie die Arme um ihren Körper schlingt, um ihn zu wärmen.

Dina quälen nach der Vergewaltigung Suizidgedanken

„Es fiel mir überhaupt nicht ein, meine Mutter zu wecken oder zur Polizei zu gehen und zu erzählen, was passiert ist. Ich legte mich einfach in mein Bett und dachte darüber nach, ob ich mich selbst in unserem Pool ertränken könnte.“ Vorher sei sie eine hervorragende Schülerin gewesen, begeisterte Cheerleaderin und Sängerin im Schulchor. Doch nach der Vergewaltigung werden ihre Noten schlecht, sie hört bei den Cheerleadern auf, ist oft krank und geht nicht zur Schule – schließlich wird diese auch von ihrem Peiniger besucht. Sie verliert immer mehr Gewicht und hat Suizidgedanken.

Erst acht Monate nach der Vergewaltigung findet ihre Mutter in Dinas Zimmer ein Buch über die Regeneration nach einer Vergewaltigung. Sie versteht plötzlich, was mit ihrer Tochter passiert. Unter Tränen entschuldigt sie sich bei ihrer Tochter, dass sie nichts gemerkt hat und bringt sie zum Frauenarzt. Dort wird dann Dinas Schwangerschaft festgestellt. Dina selbst fällt aus allen Wolken.

Dinas Kind wird mehrfach schwer behindert zu Welt kommen

Eine Frauenärztin breitet die Ultraschallbilder vor Dina und ihrer Mutter aus und deutet auf den Kopf des ungeborenen Kindes: Hydrocephalus. Ein angeborener Defekt, bei dem krankhafte Erweiterung der mit Liquor gefüllten Flüssigkeitsräume des Gehirns vorliegt. Da der Hirnstamm trotzdem intakt wäre, würde sich der Säugling zwar entwickeln, aber es war klar, dass Dinas Baby taub, blind und geistig schwer behindert auf die Welt kommen würde.

Die Liste der qualvollen Einschränkungen, unter denen das kleine Mädchen leiden würde, war endlos lang. Die Ärztin sagt den beiden Frauen, dass Dinas Baby keine Überlebenschance hätte. Aber da Dina sich bereits im achten Monat befindet, muss sie das Kind bekommen. Als die 17-Jährige realisiert, dass ihrem Kind nur eine sehr kurze und sehr qualvolle Existenz gewährt sein würde, gibt sie sich selbst die Schuld daran.

Am 27. Mai wird die kleine Zoe Lilly geboren

„Ich hatte schon ein Trauma erlitten. War das nicht genug? Ich war so zerbrechlich, sehnte mich verzweifelt nach etwas Normalität und immer noch wurde mir mehr und mehr von meinem Innersten genommen.“ Dina schmeißt die Schule, sie konnte es nicht mehr ertragen, ihren Vergewaltiger immer wieder zu begegnen. Ihre Mutter und ihr Stiefvater fragten sie zwar, ob sie ihn anzeigen möchte, aber die Vorstellung die Vergewaltigung vor Fremden noch einmal darzulegen, war unerträglich für Dina.

Als dann am 27. Mai 2005 ihre kleine Tochter geboren wurde, gibt sie ihr den Namen Zoe Lilly. Dina konnte sie zunächst nicht einmal berühren, aus Angst davor, dass sie in ihren Armen sterben würde. Kurz nach der Geburt kommt ein Arzt auf Dina zu und erklärte ihr, dass es das Beste wäre, das Kind friedlich gehen zu lassen.

Die kleine Zoe Lilly konnte nicht einmal selbstständig Nahrung aufnehmen, da sie keinen Saugreflex hatte. Dina erinnert sich daran, wie sich damals, mit gerade mal 18 und schwer traumatisiert, zusammengekrümmt hätte und sich selbst fragte: „Ist das alles ein grausamer Witz?

Dina nimmt ihr Kind mit nach Hause

Sie entschied sich, das kleine Mädchen mit nach Hause zu nehmen. Ein Jahr lang schenkten Dina und ihre Familie der kleinen Zoe Lilly alle Liebe, die sie hatten. Weil der Körper der kleinen Zoe kein Melatonin produzieren kann, findet sie nicht mal im Schlaf Linderung von den Schmerzen. Unzählige Nächte liegt Dina neben ihrem Kind, spürt, wie der kleine Körper steif vor Schmerzen ist und wünscht sich einfach nur Erlösung für ihr Kind.

Trotzdem schafft es Dina irgendwie, zum College zu gehen, auch wenn sie immer wieder Unterricht verpasst, weil sie für ihre sterbenskranke Tochter da sein muss. Sie schreibt sich sogar in einem Pflegekurs ein und lernt einen Mann kennen, der zwei Jahre später ihr Ehemann wird. Rückblickend sagt sie, dass sie in dieser Zeit mit ihrem Kind trotz allem das Gefühl hatte, ihr Leben im Griff zu haben.

Zoe Lilly stirbt in den Armen ihres Stiefopas

Dann, an Ostern, muss Zoe wieder ins Krankenhaus, sie hat eine schwere Harnwegsinfektion und unkontrollierbares Fieber. Die Kinderärztin bereitet Dina darauf vor, dass ihr kleines Mädchen bald sterben wird. Die junge Mutter entscheidet deswegen, ihr Kind noch einmal mit nach Hause zu nehmen. Einen Tag später stirbt die kleine Zoe Lilly, in den Armen ihres Stiefopas.

„Nichts kann dich darauf vorbereiten, dein Kind zu verlieren. Selbst wenn du wusstest, dass es passieren würde“, erzählt Dina. Auch heute noch würde die Trauer um ihr kleines Mädchen sie in manchen Momenten völlig einnehmen. Inzwischen ist Dina zwar glücklich verheiratet und hat drei gesunde Töchter, trotzdem fragt sie sich oft, was aus ihr geworden wäre, wenn sie nicht Opfer einer Vergewaltigung geworden wäre.

Dina macht sich heute stark für ein Recht auf Abtreibung

„Auch wenn ich meine Töchter unglaublich liebe, würde ich lügen, wenn ich behaupte, dass ich nicht um das trauere, was mir genommen wurde.“ Wenn sie die Möglichkeit zu einer späten Abtreibung gehabt hätte, hätte sie diese rückblickend definitiv genutzt. Denn das hätte der kleinen Zoe Lilly und auch ihr selbst sehr viel Leid erspart.

Aus diesem Grund macht Dina sich heute stark für das Recht auf Abtreibung. An alle Frauen gerichtet sagt sie deshalb: „Das sind unsere Körper und unsere Leben (…), diese Entscheidungen sind allein unsere. Wir sollten nicht darum betteln müssen, dass wie selbst entscheiden dürfen, was das beste für uns und unsere Kinder ist – auch für die, die vielleicht niemals geboren werden dürfen und vielleicht auch niemals geboren werden sollten.“

Lena Krause
Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach! Bevor ich bei Echte Mamas gelandet bin, habe ich Literatur und Medienwissenschaften studiert und nebenbei in einer Agentur als Texterin gearbeitet. Danach habe ich im Lokaljournalismus angefangen und sogar mit meinem Team den „Vor-Ort-NRW-Preis” gewonnen. Die große Nähe zu Menschen und Lebensrealitäten habe ich dort lieben gelernt und das lasse ich jetzt in unsere Echten Geschichten einfließen. Die sind mir nämlich eine Herzensangelegenheit, genauso wie die Themen Vereinbarkeit, Female Empowerment und Psychologie.

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