„Eigentlich sollte es dich nicht geben, werde ich dir das jemals erzählen?“

Werde ich es dir jemals erzählen?

Seit Oktober letzten Jahres trage ich eine kleine lila Schachtel in meiner Handtasche mit mir herum. Ich habe es bis jetzt nicht geschafft, sie einfach wegzuwerfen. Manchmal schaue ich sie an und frage mich, was jetzt wohl wäre, wenn die einzelne Tablette ihre Wirkung erzielt hätte, die sich darin befand.

Meine große Tochter war gerade eingeschult und die Kleine abgestillt. Ich war froh, dass ich die letzte Prüfung meines Fernstudiums bald hinter mir haben würde… Was wohl die wenigstens geahnt hätten: Ich fühlte mich unglücklich und deprimiert. Meine Beziehung war am Ende.

Im vorherigen Lockdown ist mir bewusst geworden, dass es keine Zukunft für uns geben würde.

Dass mein Partner mich nie so respektvoll und gleichwertig behandeln würde, wie ich es als Mensch und Mutter seiner Kinder verdient hätte. Dass er es nicht schaffen würde, sich weniger bedrohlich mir gegenüber zu verhalten. Mir war bewusst geworden, dass ich in einer Beziehung mit einem Patriarchen war, der von mir verlangte, mich tagsüber tadellos um Wohnung und Kinder zu kümmern und abends dann um ihn…

So verbrachte ich den September damit, meine Kinder am Morgen in Schule und Kita zu bringen und dann antriebslos und ohne Lebensfreude auf dem Sofa zu liegen – bis ich sie wieder abholen musste. Diese beiden Dinge waren in der Zeit der einzige Grund für mich weiterzuleben. Ich wusste, dass meine Kinder mich brauchen. Aber ich wusste auch, dass eine Trennung notwendig war, um aus diesen Kreislauf auszubrechen. Gleichzeitig hatte ich Angst vor dem, was danach kommen würde… Nicht davor alleinerziehend zu sein, sondern vor ihm.

Deinen Vater kannte ich schon vorher, aber in dieser Zeit intensivierte sich unser Kontakt.

Zunächst schrieben wir im Chat miteinander, dann trafen wir uns spontan in einem Café. Es fühlte sich toll an nach dieser Zeit des Lockdowns und der negativen Erlebnisse. Mit meinen Kindern größtenteils auf mich gestellt, dem Tod einer nahestehenden Person, der Prüfungsvorbereitung und meiner schweren Depression. Plötzlich war da jemand, der sich um mich kümmerte, der mir zuhörte und mich verstand. Der mir sagte, wie sehr er mich bewundert für alles, was ich schaffe. Der mich endlich wieder zum Lachen und insgesamt ein bisschen Farbe in mein Leben brachte.

Er holte mich vom Sofa und aus dem tiefen Loch. Ich bin ihm so dankbar. Es sollte der Tag kommen, an dem wir uns in meiner Wohnung trafen und dort passierte was passieren musste, aber nicht geplant war… Direkt danach ging ich zur Apotheke, kaufte eine einzelne Tablette, die verhindern sollte, dass du existierst. Schließlich war ich doch noch in dieser absolut toxischen Beziehung und eigentlich zufrieden mit den Kindern, die ich hatte.

Insgesamt war ich in dem Moment wohl das, was man unter einer verzweifelten jungen Frau verstehen würde.

Am nächsten Tag sprach ich die Trennung aus, ohne zu erwähnen, was vorher passiert war. Mein Ex-Partner reagierte, wie ich es erwartet hatte. Es folgten schreckliche Tage voller Konflikte, Vorwürfe seinerseits und seiner absoluten Überzeugung, dass ich ohne ihn nichts hinbekommen würde. Vielleicht schob ich die aufkommende Übelkeit, das Schwindelgefühl, die Müdigkeit darauf. Ich wusste, dass meine Periode später kommen würde durch die Wirkung der ,Pille danach`. Aber sie kam gar nicht.

Meinem Ex-Partner, der noch bei mir wohnte, und der mich schon zwei Mal schwanger erlebt hatte, war es vielleicht eher bewusst als mir. Vor allem war ihm bewusst, dass er auf keinen Fall der Vater sein konnte. Er stand neben mir, als ich den Test machte. Nicht einmal nach unserer Trennung konnte er mir diese Privatsphäre lassen. Wir mussten keine zwei Minuten warten, um ein deutliches Ergebnis zu sehen. Während ich verzweifelte, machte er mir Vorwürfe wegen meiner Dummheit.

Es verletzte mich, besonders in diesem verletzlichen Moment.

Aber doch nicht so sehr wie die vielen Male zuvor, in denen er mich niedergemacht hatte. Denn ich wusste, dass ich nicht dumm war. Ich hatte zweifellos etwas ziemlich Dummes getan, aber das machte mich nicht zu einem dummen Menschen. Zwei Tage lang fühlte ich mich wie in einer Blase, alles um mich herum wirkte unreal und dein Vater war genauso überfordert wie ich.

Ohne zu wissen, wie er zu uns stehen würde, entschied ich mich dafür, dich zu bekommen. Denn scheinbar wolltest du unbedingt geboren werden. Ich hätte es auch nicht ertragen, dich nicht zu bekommen. Schließlich hattest du mir doch gezeigt, wie stark und mutig ich sein kann.

„Dein Vater und ich sind nicht zusammen. Aber wenn ich jetzt deine Tritte spüre und sehe, wie sehr sich deine Schwestern auf dich freuen, dann bin auch ich voller Freude auf unsere gemeinsame Zukunft, so anstrengend sie vielleicht sein mag. Ich bin einfach nur dankbar für jeden Tag, an dem ich erfahren darf, wie toll es sich anfühlt, endlich frei zu sein. Deswegen weiß ich, dass es die richtige Entscheidung war, dich zu bekommen.“


Vielen Dank, liebe Mama (Name ist der Redaktion bekannt), dass du uns deine Geschichte erzählt hast. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!

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Lena Krause

Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach!

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