„Du warst unsere Rettung“: Brief einer Mama an die Erzieherin ihres Sohnes

„Liebe S.,

Eines der ersten Worte, die mein Sohn sagen konnte, war dein Name. Und das wundert mich überhaupt nicht. Denn du bist für ihn zu einer ganz wichtigen Person geworden. Und dabei warst du nicht mal die Erzieherin, die ihn eingewöhnt hat. Trotzdem hat er zu dir ein ganz besonderes Verhältnis.

Es ist jetzt fast sechs Monate her. Mein kleiner Mann (1) und ich kamen jeden Tag in diese riesige Kinder-Gruppe. Ich hatte ja schon mal ein Kind in einer Krippe eingewöhnt, meine ältere Tochter. Dort waren es gerade mal halb so viele Kinder. Aber ich war so froh, für meinen Sohn überhaupt diesen Platz zu bekommen, deshalb waren wir nun da. An sich ein fröhliches Kerlchen, verwandelte mein Sohn sich nach der ersten Woche, als die Trennungen begannen, in einen müden, stillen Jungen. Ich ging und er weinte und ich kam und er weinte. Wenn ich fragte, wie es denn so lief, bekam ich bedauernde Blicke oder auch mal ein „eigentlich ganz gut“. Alles normal, wurde mir gesagt, das spreche für eine gute Bindung.

Jaja, ich wusste das alles in der Theorie. Praktisch war ich aber die Mutter dieses kleinen Häufchen Elends und wurde von Tag zu Tag gefrusteter. Ich wollte das so nicht für meinen Sohn. Ich rief Tagesmütter in der Umgebung an. Sie vertrösteten mich auf den Herbst 2018. Ich besprach mit meinem Mann, ob wir noch ein Jahr nur von seinem Gehalt leben könnten und Söhnchen noch zu Hause bleiben könnte. Es wäre nicht gegangen. So viel verdienen wir beide nicht.

Und dann kamst du. Ohne, dass ich dich gefragt habe, sprudelte es aus dir heraus. Auch du hast gesagt, dass das Weinen bei den Übergaben normal ist. Dass er sich morgens ganz schnell beruhigt. Aber du hast noch viel mehr gesagt. Manchmal nur von ganz kleinen Momenten erzählt, wie er vom Wickeltisch durch die Scheibe in den Gruppenraum gewunken hat, wie er sich erst den Mund vollstopfte und dann alles wieder ausspuckte, wie bewegungsfreudig er ist.

Du hast heraus gefunden, dass mein Sohn ganz viel Hautkontakt braucht. Ihm reicht zum Einschlafen nicht das normale „Händchenhalten“. Er brauchte den ganzen Arm, bis zur Schulter. Du hast dir das T-Shirt so hoch wie möglich gekrempelt und ihn dir so in den Arm gelegt, dass er mit beiden Händen deine Haut spüren konnte, bis er einschlief. Noch heute liebt er das zu Hause. Und auch bei euch in der KiTA, wie du mir erst vor kurzem erzählt hast. Du und deine Kolleginnen gebt ihm immer noch den Arm zum Einschlafen, obwohl er lange eingewöhnt ist.

Ich habe trotzdem nicht das Gefühl, dass du ihn bevorzugst. Als ich während der Eingewöhnung mit beim Essen saß, hast du mich ziemlich beeindruckt. Auf jedem deiner Beine saß ein Kind, das gerade lieber auf dem Schoß als auf dem Stuhl sitzen wollte. Du fuhrst mit dem Roll-Hocker von Tisch zu Tisch und zum Essenswagen, schnittst Obst klein, hast hier gefüttert und da ein Wasserglas vorm Umkippen bewahrt. Gleichzeitig wirktest du entspannt und routiniert. Und vor allem hast du keines der Kinder aus den Augen gelassen. Wer dich brauchte, bekam dich.

Wahrscheinlich sagen viele Eltern, dass das ja auch dein Job ist. Ist es ja auch. Aber dein Beruf ist in meinen Augen einer der wichtigsten und gleichzeitig schwierigsten Jobs, die man machen kann. Ihr Erzieher werdet Bezugspersonen für unsere Kinder. Mehrere Stunden am Tag müsst ihr für das Glück der ganz Kleinen sorgen, gleichzeitig Dienstpläne und Entwicklungsprotokolle schreiben, nach jeder Mahlzeit sauber machen, zig Schnoddernasen putzen und noch mal so viele Windeln wechseln, unendlich viele Tränen trocknen, sechs Kindern gleichzeitig „Mein erstes Fühlbuch“ vorlesen und natürlich fühlen lassen, sich prügelnde Zweijährige trennen und gleichzeitig schreiende Einjährige beruhigen und und und.

Von den äußeren Bedingungen wie Gehalt und Jobansehen will ich gar nicht reden. Und wer, wie du, dabei nie die Ruhe verliert (jedenfalls nicht vor den Kindern), konsequent und gleichzeitig absolut empathisch ist, vor dem habe ich riesengroßen Respekt. Ich schaffe das alles nämlich nicht mal mit zwei Kindern. Ich darf in meinem Job schlecht gelaunt am Schreibtisch sitzen, meinen Rechner anmaulen und mir dann genervt erst einmal einen Kaffee kochen.

Gerade bei den ganz Kleinen sind wir Eltern ja oft sehr empfindlich. Deshalb müssen du und deine Kolleginnen nicht nur mit den Kindern arbeiten, sondern auch mit uns Eltern. Das ist bestimmt nicht immer einfacher als mit den Kleinen. Ich war wahrscheinlich auch schon die hunderste Mutti allein in den letzten Monaten, die meinte, dass das alles nicht so laufen sollte. Trotzdem hast du mich damals aufgefangen. Ohne, dass du es gemerkt hast, glaube ich. Aber deine Art zu erzählen, mit mir mitten im Raum zu sitzen und einfach zu reden, das tat mir unglaublich gut.

Du machst den Job jetzt schon seit 14 Jahren. Ich will gar nicht wissen, wie viele Kinder du schon hast kommen und gehen lassen. Vor kurzem gab es eine kleine Feier, eine Erzieherin aus dem Elementarbereich verabschiedete sich in den Ruhestand. Es waren auch viele ehemalige Kinder da, hauptsächlich Grundschüler. Du kamst auch kurz vorbei, stelltest dich leise an die Tür, während eine Rede gehalten wurde. Plötzlich stürmten mindestens sieben der großen Kinder auf dich zu und rissen dich fast um. Sie hatten dich tatsächlich nicht vergessen und freuten sich so sehr, ihre alte Krippen-Erzieherin wieder zu sehen.

Du hattest deinen Job offensichtlich schon bei ihnen gut gemacht. Und vielleicht stürmt mein kleiner Sohn in sieben oder acht Jahren auch mal so auf dich zu, wenn wir uns zufällig treffen. Ich würde mich jedenfalls freuen. Und dir noch mal Danke sagen.“

Dieser Text stammt von unserer freien Autorin Julia Jung.

Tamara Müller
Als süddeutsche Frohnatur liebe ich die Wärme, die Berge und Hamburg! Letzteres brachte mich vor sieben Jahren dazu, die Sonne im Herzen zu speichern und den Weg in Richtung kühleren Norden einzuschlagen. Ich liebe die kleinen Dinge im Leben und das Reisen. Und auch wenn ich selbst noch keine Kinder habe, verbringe ich liebend gerne Zeit mit ihnen.

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