„Du bist Dreck!“ Unfassbare Zustände in Irlands Mutter-Kind-Heimen

Ein Mutter-Kind-Heim soll ein Ort der Zuflucht sein, in dem es eine Vertrauensbasis gibt. Ein Ort, an dem Frauen Obdach, Schutz und Hilfe bekommen, wenn sie nicht wissen, wohin sie sonst gehen können.

Doch in Irland war die Realität eine ganz andere, und zwar über Jahrzehnte.

Kaum einer wusste, was in den Heimen geschah, weil die Verantwortlichen alles vertuschten. Doch 2014 kam es zu einem Skelettfund, der eine Lokalhistorikerin dazu anregte, den katholischen Institutionen näher auf den Zahn zu fühlen. Es folgten jahrelange Untersuchungen mit erschreckenden Ergebnissen. Am Dienstag wurde mit fast 3000 Seiten der endgültige Bericht veröffentlicht, wie u.a. n-tv berichtet. Er umfasst die Erfahrungen von Müttern und Kindern, die von 1922 bis 1998 in18 Heimen in ganz Irland lebten.

Es geht um Massengräber, unterernährte Kinder und Mütter, deren Babys nach der Geburt weggenommen wurden.

Die Historikerin und ihr Team sprachen unter anderem mit mehreren 100 ehemaligen Bewohnern der Heime. Diese beschreiben, wie sie auf den Knien den Boden schrubben mussten, während sie dabei als „gefallene Frau“ beleidigt wurden.

Wie es dazu kam? Unverheiratete Frauen, die schwanger wurden, wurden häufig von ihren Familien in die gebracht, um zu dort zu gebären. Denn „uneheliche“ Kinder galten in dem streng katholischen Land als eine Schande. Die Neugeborenen wurden dann entweder als Waisen im Heim gelassen und von den Nonnen großgezogen oder, oft ohne das Einverständnis der Eltern, zur Adoption freigegeben.

„Eine Nonne sagte mir: ,Gott will dich nicht … du bist Dreck!`“, erzählt eine Befragte – und „Man konnte fast die Tränen in den Wänden fühlen“.

Viele Kinder überlebten in ihrem gruseligen Wohnort nicht.

Im Auge hatte Lokalhistorikerin Catherine Corless unter anderem das Mutter-Kind-Heim in Tuam, das erste von 18 Einrichtungen in ganz Irland. Es wurde von 1925 bis 1961 vom Nonnenorden „Bon Secours Sisters“ geführt, dann wurde es geschlossen. 1975 fanden zwei Jungen beim Spielen auf dem ehemaligen Heim-Gelände ein Loch, das mit Kinderskeletten gefüllt war. Ein Priester hielt dort am Massengrab eine Messe – und schloss das Grab wieder. Ende.

Bis Catherine Corless Wind davon hörte und ihre Nachforschungen begann. Sie gelangte an Dokumente der in Tuam gestorbenen Kinder und kam auf knapp 800 (!) in 36 Jahren – Säuglinge und Kinder bis zu einem Alter von neun Jahren. Inzwischen ist sogar von 1000 Kindern die Rede. Die Ursachen waren demnach oft ungeklärt, vermutet werden Mangelernährung oder Krankheiten.

Solche Umstände gab es in vielen, vielen Heimen Irlands.

Laut der aktuellen Veröffentlichung erreichte beispielsweise die Kindersterblichkeit im Heim Bessborough mit 75 Prozent im Jahr 1943 ihre Spitze. „Von 100 Babys, die in diesem Jahr in Bessborough geboren oder dort aufgenommen wurden, starben 75 noch im Kindesalter.“ Über 900 Kinder starben in dem Heim insgesamt – oder im Krankenhaus, falls sie von Bessborough mal eingeliefert wurden.

Im Bericht ist von rund 9.000 Kindern die Rede, die in den 18 untersuchten Heimen in ganz Irland gestorben sind.

„Selbst in den 60ern wurden Mädchen und Frauen noch immer schwanger, ohne zu verstehen, wie und warum.“ Das sei auf die fehlende sexuelle Aufklärung und strenge katholische Erziehung zurückzuführen. Häufig seien die Mädchen aber auch durch eine Vergewaltigung schwanger geworden. Eine Zeugin, die in einem der Heime geboren worden war, erzählt beispielsweise, dass ihre Mutter sei schwanger geworden, weil einer der Priester sie vergewaltigt hatte.

Das Gutachten macht eine jahrzehntelange erdrückende und frauenfeindliche Kultur des Landes deutlich.

So äußert sich Roderic O’Gorman, der irische Minister für Kinder, Gleichstellung, Behinderte, Integration und Jugend zu diesem Thema. „Die Untersuchungskommission enthüllt die Wahrheit darüber, was innerhalb der Mauern der Mutter-Kind-Heime und darüber hinaus mit vielen Tausenden von Frauen und Kindern geschah.“ Jetzt werde Catherine Corless Bericht sorgfältig geprüft – die Ziele der Regierung seien unter anderem eine Entschuldigung, Zugang zu persönlichen Informationen für Betroffene, Gedenkstättenarbeit und würdige Bestattungen.

Laura Dieckmann
Als waschechte Hamburgerin lebe ich mit meiner Familie in der schönsten Stadt der Welt – Umzug ausgeschlossen! Bevor das Schicksal mich zu Echte Mamas gebracht hat, habe ich in verschiedenen Zeitschriften-Verlagen gearbeitet. Seit 2015 bin ich Mama einer wundervollen Tochter.

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