„Bitte lass dein Kind nie schreien“: Das Plädoyer einer Mama

Liebe Mamas,

ich weiß, einige von euch glauben, dass es gut sei, sein Kind schreien zu lassen, damit es sich selbst beruhigt. Nach einem Post heute morgen kamen bei mir wieder die Erinnerungen an meine Kindheit hoch.

Deshalb möchte ich hier meine Geschichte mit euch teilen, damit ihr besser versteht, warum ich absolut gegen das Schreien-Lassen bin.

Meine Eltern haben mich als Kind nicht wirklich aus Leibeskräften brüllen lassen, aber sie sind bis heute der Meinung, man solle NICHT sofort rennen, wenn das Baby weint. Es könne das sonst ausnutzen.

Und so haben sie damals auch nicht auf meine Hilferufe reagiert. Für mich war das leider dramatisch – und zwar aus diesem Grund:

Ich hatte seit frühester Kindheit unerkannte Ohrenprobleme und litt unter Tinnitus – konstanten Ohrengeräuschen. Im „besten“ Fall äußert sich dieser durch ein Pfeifen im Ohr. Manchmal aber klingt das Summen und Surren auch wie Stimmen.

Und für ein Kind mit lebhafter Fantasie, wie es ich war, klingen Stimmen bedrohlich. „Meine“ Stimme im Kopf klang wie ein Mann, der mich anschrie. Und das jeden Abend, sobald ich im Bett lag. Ich habe mich jahrelang unter der Bettdecke versteckt, weil ich Angst vor der Stimme hatte. Meine Eltern allerdings dachten, ich fände es unter der Decke halt kuscheliger.

Und später, als ich älter war und begriff, dass ich mir die Stimme wahrscheinlich einbildete, da habe ich mich nicht getraut, mit jemandem darüber zu sprechen. Meine Eltern könnten das ja nicht verstehen, mich für verrückt halten und nicht mehr lieb haben.

Irgendwann hatte ich das Glück, dass ein Arzt mein Problem erkannte und die richtige Diagnose stellte. Daraufhin wurde ich als Kind mehrfach operiert. Als ich etwa zehn Jahre alt war, wurde ich nach einer misslungenen OP auf einem Ohr komplett taub. Wenigstens hörte der Tinnitus dadurch auf.

Die Einschlafprobleme, die Stimmen, die vielen OPs– alles Gründe, warum ich während meiner kompletten Kindheit und noch weit bis ins Erwachsenenalter eine Einzelgängerin war. 

Inzwischen bin ich 35 Jahre alt und habe einen eigenen Sohn. Mit meinen Eltern habe ich vor einiger Zeit über meine Erfahrungen von damals gesprochen. Sie hatten deshalb lange Zeit mit fürchterlichen Gewissensbissen zu kämpfen, warum sie das denn nie gemerkt hätten. Denn natürlich haben sie nicht mit böser Absicht gehandelt.

Ich fragte mich lange, warum ich auch nie darüber mit ihnen geredet habe. Heute habe ich eine Antwort für mich gefunden: Weil ich schon als Baby „gelernt“ habe, dass nicht immer gleich jemand kommt, wenn man nach Hilfe schreit. Ich hatte das Vertrauen nicht. Also habe ich es gelassen…

Ich weiß, mein Fall ist extrem. Ich meine auch, dass es nicht bei jedem Kind in einem Drama enden muss, wenn es bei jedem Schrei nicht sofort umsorgt wird. Schließlich war ich krank und brauchte aus einem speziellen Grund Hilfe.

Trotzdem: Ich glaube, dass viele, besonders sensible Kinder ein Problem damit haben, wenn ihnen nicht gleich Aufmerksamkeit geschenkt wird. Sie fühlen sich nicht ernst genommen und ziehen sich zurück – so wie ich es getan habe.

Ich als Mama möchte es natürlich besser machen. Deshalb lasse ich meinen Sohn auch NIE ganz alleine einschlafen. Ich sitze oder liege immer daneben. Damit er weiß, dass jemand seine Hilferufe ernst nimmt und immer für ihn da ist…

In diesem Sinne alles Liebe und Gute für euch und eure Kleinen,

eure Claudia Schmidt* aus Kornach in Bayern

* Der Name ist von der Redaktion geändert

Tamara Müller
Als süddeutsche Frohnatur liebe ich die Wärme, die Berge und Hamburg! Letzteres brachte mich vor sieben Jahren dazu, die Sonne im Herzen zu speichern und den Weg in Richtung kühleren Norden einzuschlagen. Ich liebe die kleinen Dinge im Leben und das Reisen. Und auch wenn ich selbst noch keine Kinder habe, verbringe ich liebend gerne Zeit mit ihnen.

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