Als Eltern den Sex verlernt? 6 Steps, wie die Lust zurückkommt – laut Expertin

Viele Eltern kennen das vermutlich: Alltagsstruggle, Müdigkeit, Familienbett, überhaupt die neue Konstellation als Familie und nicht mehr nur Paar sein. Das Thema Sex kann dann schnell in den Hintergrund rücken. Bei all den Anforderungen, Routinen und der Erschöpfung ist einfach kein Raum mehr für Lust.

Verena Wessel, Paar- und Sexualtherapeutin aus Hamburg, erklärt, warum das normal ist und wie Eltern die Nähe zurückholen können – körperlich, emotional und ohne Druck.

1. Bevor es um Sex geht: Für Entlastung sorgen

Eltern leben laut Verena Wessel in einem Gefüge, das ihnen viel abfordert. Viele verwechseln daher Lustlosigkeit mit Erschöpfung. „Wer dauerhaft funktioniert, kann kein Begehren empfinden,“ sagt die Expertin. Der Körper habe dann keine Kapazitäten.

Der erste Schritt sei daher nicht ein aufregendes erotisches Ritual, sondern zunächst Schlaf, Entlastung, Zeit für sich. Ohne Entspannung könne kein Nervensystem in Richtung Lust arbeiten. Das kann schon herausfordernd für Eltern sein, umso wichtiger, sich möglichst gegenseitig zu entlasten und für diese Bedingungen zu sorgen (und auch zu akzeptieren, wenn es Zeiten gibt, in denen das nicht möglich ist).

2. Wieder in Kontakt treten als Basis von Sexualität

Verena Wessel beobachtet in ihrer Arbeit, dass bei vielen Paaren nach einer Geburt Nähe eher funktional wird. So umarme man beispielsweise, um zu trösten. Doch bewusste Berührung gehe im Alltag oft unter. „Das ist völlig normal – aber es ist kein Nährboden für Lust“, sagt sie.

Die Sexualtherapeutin erklärt, dass viele Paare erst einmal versuchen, „den Sex zurückzuholen“. Häufig sei der erste Schritt jedoch ein anderer: „Es geht weniger darum, sofort wieder Sex zu haben, sondern die Verbindung wiederzufinden.“

Der Weg zurück beginne oft im Kleinen:

  • Sich im Vorbeigehen bewusst anschauen,
  • Eine Umarmung ein paar Sekunden länger halten
  • Statt über Kita und Einkaufen zu reden, einfach mal fragen: „Wie geht’s dir gerade wirklich?“

Die Expertin erklärt: „Nähe entsteht nicht auf Knopfdruck, sondern in kleinen Momenten, die zeigen: Ich sehe dich. Ich bin nicht nur im Funktionsmodus.“ Viele Paare würden sich nicht entfremden, weil die Liebe weg ist, sondern, weil sie im Alltag „unsichtbarer füreinander“ werden.

3. Zurück zur Lust durch Übergänge

„Was gibt’s heute zu essen?“ „Wer holt ab?“ „Wer steht nachts auf?“ Elternsein bedeutet viel Organisation. Dabei gehe aber der Blick füreinander als Paar verloren.

Verena Wessel empfiehlt daher, bewusst kleine Übergänge zu schaffen:

  • Nach dem Abendchaos sich kurz bewusst ansehen, bevor man redet
  • Eine Umarmung ohne To-do im Kopf
  • Ein paar Minuten gemeinsam atmen, ohne Handy, ohne Ablenkung

4. Berührung ohne Ziel statt Sex

Viele Eltern (und zwar oft Mütter) meiden Berührung, weil sie Angst haben, dass daraus die Erwartung beim Gegenüber entsteht, dass es automatisch zu Sex kommen „muss“. „Wenn jede Umarmung wie ein Startsignal wirkt, entsteht Druck. Und Druck ist der Feind der Lust“, erklärt die Sexual- und Paartherapeutin.

Darum rät sie: Berührung ohne Ziel. Dadurch könne wieder Vertrauen und Entspannung entstehen. Auch wenn es paradox klingt, könne Berührung ohne sexuelle Absichten daher der Wendepunkt zurück zur Lust sein.

Konkrete Tipps für Berührung ohne Ziel: 

  • Mini-Massagen, bei denen jede*r sagen darf, was guttut
  • Auf dem Sofa bewusst aneinander anlehnen
  • Ein paar gemeinsame Atemzüge die Hand aufs Herz des anderen legen – und sich gegenseitig spüren, entweder mit geschlossenen oder geöffneten Augen

Das Ziel sei Sicherheit: „Wenn Berührung wieder sicher und entkoppelt von Sexualität ist, kann sich der Körper (eines Menschen, der keine Kapazität für oder Lust auf Sex hat) erst entspannen“, sagt die Expertin. Entspannung sei wiederum ein Nährboden für Lust und so erklärt Verena Wessel  weiter: „Sinnliche Nähe entsteht nicht nur in großen, kribbeligen Momenten, sondern in kleinen alltäglichen Begegnungen und Momenten.“

5. Lust in den Alltag integrieren

Verena Wessel rät Paaren, nicht auf die großen Momente miteinander zu warten, wie das erste gemeinsame Wochenende zu zweit oder der Urlaub. Dann verpassen sich Paare bis dahin. Stattdessen sollten sie lieber Nähe im Alltag kultivieren.

Konkrete Ideen für mehr Lust im Alltag:

  • Einen zweiten Chat (von einem anderen Messenger) eröffnen „für kleine Lovenotes, fürs Flirten, für Sexting, für kleine ich-denke-gerade-an-dich-Momente, Erinnerungen/Bilder teilen.“ Ihr seid da ganz frei. Es gibt nur eine Regel: Kein Alltagsgsgedöns, keine Alltagsorganisation.
  • Für kurze Unterbrechungen und Spaß im Alltag sorgen, zum Beispiel beim Kochen und gemeinsam tanzen, statt nur immer im Erledigungsmodus zu sein. „Humor ist auch ein Ausdruck von Lebendigkeit und Erotik mag Lebendigkeit, viel mehr als Perfektion.“
  • Sich selbst und den eigenen Körper wieder bewusst spüren: beim Duschen, Eincremen, Atmen. „Wie fühlt sich meine Haut an? Wo spüre ich Wärme, wo Kälte, wo Anspannung? Das kann ein Tor zur Sinnlichkeit und Lust sein.“ Denn Lust beginne bei einem selbst.

6. Sex neu definieren

Wichtig sei, Sex neu zu bewerten.

Folgende Gedanken helfen dabei:

  • Glaubenssätze ändern: Viele Eltern sind so erschöpft, dass der Gedanke an Zärtlichkeit eher Stress als Sehnsucht auslöse oder dass der Gedanke an Intimität eher an Arbeit erinnere als an Freude. „In solchen Zeiten hilft es, Zärtlichkeit nicht als Aufgabe zu verstehen, sondern als kleine Pause im oder vom Alltag.“
  • Den alten Sex loslassen: „Dieses ‚früher war es leidenschaftlicher‘ kann eine Sackgasse sein. Denn früher ist nicht mehr. Wenn man loslässt, dass es wieder so werden muss wie damals, entsteht vielleicht Raum für etwas Neues.“ Stattdessen können Paare sich folgende konkreten Fragen stellen: Was war früher gut, was ihr jetzt vermisst? Was war früher vielleicht gut, hat aber jetzt ausgedient? Was war gut, ist jetzt aber auch gut, dass es vorbei ist?
  • Neugierig aufeinander sein als unterschätzte erotische Ressource: „Der Mensch, mit dem du zusammen bist, ist nicht derselbe wie vor fünf Jahren. Der Körper hat sich verändert, die Stimmung ist eine andere, die Bedürfnisse sicher auch.“ Seid neugierig auf den neuen Sex. Was gibt es Neues zu entdecken? Welche neuen Vorlieben?

Verena Wessel möchte allen Paaren, die denken, dass die Sexualität nicht wiederkommt, mit auf den Weg geben: „Sexualität ist kein Zustand, den man verliert. Sie ist ein innerer Raum, der manchmal verschüttet ist unter der Müdigkeit, unter Rollen, unter dem Mental Load, unter Enttäuschungen.“

Wichtig sei es, in den ehrlichen Austausch zu gehen, zu sagen: „Ich vermisse uns. Und ich weiß nicht, wie wir hier hingekommen sind.“ Das ist für die Paar- und Sexualtherapeutin kein Ausdruck des Scheiterns, sondern kann sogar der Anfang sein, denn dann entstehe Kontakt.

Und ein wichtiger Mutmacher: Lust brauche nicht Perfektion, sondern Präsenz und Hinwendung. „Wenn ihr wieder bereit seid, euch zu zeigen mit all dem Ungeübten, Unsicheren, manchmal auch Unsexyen, dann ist das kein Ende, sondern vielleicht ein sehr ehrlicher Neubeginn.“

Verena Wessel

Unsere Expertin: Verena Wessel ist körperorientierte Sexual- und Paartherapeutin sowie Heilpraktikerin für Psychotherapie.
Sie begleitet Menschen dabei, ihre Sexualität selbstbestimmt, verbunden und lebendig zu gestalten.

 

Miriam Mueller-Stahl

Hi, ich bin Miriam, Content Director bei Echte Mamas und Mutter einer kleinen Tochter – definitiv der coolste, lustigste, aber auch fordernste Mensch der Welt. Vor den echten Mamas habe ich unter anderem für ein großes Frauenportal geschrieben und ein Health-Portal redaktionell geleitet. Heute teile ich mein Wissen gern mit euch und schreibe über die kleinen und großen Momente im Mama-Alltag – ehrlich, praktisch und manchmal mit einem Augenzwinkern.

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