Wie klärt eine Sexualpädagogin ihre Kinder auf? Wie bleibt sie bei jeder Frage gelassen und was müssen Eltern über Erkundungsspiele ihrer Kleinen wissen? In unserem Podcast „Ehrlich gesagt“ hat Sexualpädagogin und Dreifach-Mama Mareike Brede über all das und noch viel mehr mit unserem Host Nora gesprochen.
Ein unglaublich wichtiges Gespräch, hier könnt ihr direkt reinhören:
Und hier lest ihr schon mal einige Auszüge aus dem Gespräch:
„Ich bin ganz klar der Meinung, dass Aufklärung und Sexualität von Anfang an ganz alltäglich und beiläufig stattfinden sollte und da gar nicht so ein großes Thema draus gemacht werden sollte. Denn es ist ein Thema, was uns Menschen einfach von Geburt an bis ins hohe Alter begleitet.
Die Balance zwischen Offenheit und Intimität
Kinder sind ja total unbedarft und haben anfangs keine Schamgrenzen. Natürlich gibt es auch da Nuancen und jedes Kind ist ganz unterschiedlich, aber in der Regel bilden sich die natürlichen Schamgrenzen im Laufe der Grundschulzeit. Kleinere Kinder sind ja eher total schamlos und fragen dann laut im Supermarkt: ,Wie kommen denn jetzt die Babys in den Bauch?‘ Dann ist es schon berechtigt, dass man sagt: ,Super Frage, die sparen wir uns für zu Hause auf, da sprechen wir dann darüber!‘ Es ist okay, wenn Kinder lernen, dass es für gewisse Themen einen Raum braucht, der sicher ist. Und auch für das Körperliche, also Nacktheit.
Es ist natürlich häufig ein Drahtseilakt mit Kindern, gerade im Sommer: Eigentlich möchte man den Kindern ihren Freiraum lassen, es gibt ja nichts Schöneres, als nackt herumzulaufen und zu planschen. Und wir wollen ihnen mitgeben, dass ihr Körper nichts ist, wofür sie sich schämen müssten und dass jeder anders aussieht – gleichzeitig leben wir natürlich in einem Zeitalter, in dem jeder ein Smartphone ganz unauffällig zücken und Videos oder Fotos machen kann, ohne dass das überhaupt irgendwer mitbekommt. Wenn mich Eltern fragen, rate ich deswegen immer, dass Kinder an öffentlichen Plätzen nicht komplett nackt herumlaufen sollten. Wenn die Kinder dann die berechtigte Frage stellen, warum das so ist, kann man antworten: ,Weil dein Penis oder deine Vulva nur dir gehören und und den/die müssen nicht alle sehen. Das ist wie so ein Schatz, den wir ein bisschen beschützen. Und deswegen tragen wir hier eine Unterhose.‘
Der richtige Umgang mit Sexualität von Anfang an
Aufklärung beginnt für mich tatsächlich auf dem Wickeltisch. Wenn ich mein Baby wickele, es pflege, es wasche – dann benutze ich dabei schon die korrekten Begriffe für die Körperteile. Denn im besten Fall spreche ich dabei ja mit meinem Baby und sage: ,Ich mache dich jetzt mal sauber. Jetzt wasche ich deine Hände, das Gesicht und jetzt mache ich deine Vulva oder eben deinen Penis sauber und deinen Popo. Und so werden die Kinder von Anfang an mit den korrekten Begriffen wie auch Arm und Knie und Kopf und Nase groß. Denn zwischen allen Körperteilen gibt es ja keinen Unterschied, für Kinder sowieso nicht. Das sind ja wir Erwachsenen, die häufig dieses Sexuelle daraus machen. Aber trotzdem kann man auch hier schon beginnen, über Körpergrenzen zu sprechen. Beim Wickeln eines anderthalbjährigen Kindes kann ich erklären: ,Das darf jetzt aber hier gerade nur Mama machen. Dich an der Vulva berühren, weil ich helfe dir gerade, dass du da sauber wirst.‘ Und Papa darf das auch und vielleicht auch Oma und die Tagesmutter. Das kann man explizit besprechen, wer da kurz sauber machen darf, aber dass da eben sonst niemand anfassen darf.
Es ist auch eine gute Idee, nicht einfach seine Nase an den Po des Kindes zu halten, wenn man eine volle Windel vermutet. Es ist super, einfach kurz zu fragen: ,Du, ich habe da was in der Nase. Darf mal bitte einmal kurz schauen?‘ Wir sind die größten Vorbilder, was das angeht Und wenn wir unseren Kindern auch vermitteln, dass ihre Grenzen uns auch wichtig sind, dann macht ganz viel mit ihrem Selbstwert. Deswegen sollten wir das im Auge behalten und den Kindern immer wieder ihr Recht darauf hervorheben.
Irgendwann kommt ja zum Beispiel auch die Phase, in der die Kinder keine Lust mehr haben, sich wickeln zu lassen. Da geht es gar nicht darum, ob es gemacht wird – das steht außer Frage, wir sind als Eltern verantwortlich für die Hygiene und Gesundheit unserer Kinder. Es geht ums Wie. Wie kriegen wir das hin, dass du jetzt dazu bereit bist und ich dich nicht einfach packe und gegen deinen Willen wickle – wo und wie können wir es machen, damit es vielleicht auch für dich ein bisschen lustig ist? Da kann man dann vielleicht auch einfach mal das große Ablenkungsmanöver nehmen und dem Kind das Handy in die Hand drücken, wenn nichts anderes geht.
Aufklärung ist auch immer Missbrauchs-Prävention
Wenn ich keine klare differenzierte Sprache habe, wie soll ich mich dann verständigen, wie soll ich mir Hilfe holen? Es gibt ja auch die unterschiedlichsten Kosenamen für die Geschlechtsteile. Schmetterling, Schmuckkästchen, Kätzchen, Gartenschlauch, natürlich auch so ein paar gängige wie Mumu und Pullermann… Aber wenn ein zwei-, dreijähriges Kind mit noch nicht so wirklich korrekter Aussprache sich einem Erwachsenen anvertraut und dann irgendwas erzählt von Schmetterling und Opa oder so… Dann denkt man ja an ein Tier und nicht an die Vulva. Und das ist wirklich fatal!
Sprache schafft Realität. Deswegen ist es so wichtig, die korrekten Wörter zu nutzen. Es ist eben auch nicht alles die Scheide. Auch ich bin mit der Scheide groß geworden und war Anfang 20, um zu lernen, dass es eben die Vulva ist, die wir außen sehen. Man kann jederzeit das korrekte Wort einführen und kann auch seinem Kind durchaus sagen: ,Du, man lernt nie aus und Mama hat ja jetzt gelernt, das heißt eigentlich gar nicht Scheide, sondern Vulva. Wir sagen ab jetzt Vulva, weil die Scheide ist im Körper.‘ Das ist super wichtig.
Kinder müssen rechtzeitig wissen, wie sich ihr Körper entwickelt
Ich arbeite auch mit Schulklassen. Und ich bemerke immer, dass da die Spanne ganz weit auseinander geht von Kindern, die schon total aufgeklärt sind, die das auch ernst nehmen und nicht mehr so viel rumkichern – bis hin zu Kindern, die noch nie Kontakt zu dem Thema hatten und denen beispielweise die Augen aus dem Kopf fallen, wenn ich ihnen erkläre, dass auch sie eines Tages aus ihrer Vagina bluten werden, weil sie ihre Periode bekommen. Wir reden hier von neunjährigen Mädchen, die teilweise schon in der Pubertät sind – oder in Einzelfällen vielleicht sogar schon ihre Periode bekommen. Und dasselbe erlebe ich auch sechsten Klassen, wo die Kinder dann ja einfach elf, zwölf Jahre alt sind und somit in dem Durchschnittsalter, in dem die erste Periode kommt.
Es ist ein erschreckendes Thema, aber das gilt natürlich erst recht, wenn man seine Periode bekommt und noch nie etwas davon gehört hat. Einige Mädchen haben mir wirklich berichtet, dass sie davon nichts wussten und sie eines Tags Blut in ihrer Unterhose gefunden haben. Und dann dachten, sie müssen sterben oder sie haben jetzt Krebs. Also, sie haben wirklich richtig doll Angst bekommen.“
Wenn ihr mehr von Mareike wissen und lernen wollt, schaut doch mal auf ihrem Instagram-Account die.mamareike oder auf ihrer Homepage vorbei!

Mareike Brede Foto: @tanja.theresia.fotografie