„Als ich meinem Baby sagte, dass es loslassen darf, starb es in meinem Arm.“

Uns hat Mirja* (*der echte Name der Mama ist uns bekannt) ihre Echte Geschichte geschrieben. Sie hat wohl eines der schlimmsten Dinge erlebt, die Eltern zustoßen können: Sie musste eines ihrer Zwillings-Babys gehen lassen. Sie hat uns von diesem herzzerreissenden Augenblick erzählt – und auch von dem langen, harten Weg dorthin:

„Ich war schon Zweifach-Mama, als mein Mann und ich uns entschieden haben, noch ein letztes Mal schwanger zu werden.

Meine Kleinste war erst sieben Monate alt, aber nach langem Überlegen hatten wir uns für diese Schwangerschaft entschieden. Es hat tatsächlich auch nicht lange gedauert, bis ich dann den positiven Test in der Hand hielt. Wir waren sehr glücklich und ich freute mich schon auf den Frauenarzttermin.

Beim ersten Ultraschall sah man erst eine Fruchthöhle und einen Embryo darin. Beim nächsten Termin dann der Schock: eine zweite Fruchthöhle und der zweite Embryo. Ich war schwanger mit einem Jungen und einem Mädchen.

Ich habe einige Wochen gebraucht, um das zu realisieren – und vor allem auch zu akzeptieren. Die schlimme Übelkeit machte mir das Ganze nicht leicht. Doch als ich dann den ersten großen Ultraschall hatte und ich meine beiden Babys ganz in Ruhe auf dem Monitor sah, stellte sich das Glück doch noch hoch und ich fing an, mich riesig über meine beiden Wunder zu freuen.

In der 24. Schwangerschaftswoche hatte ich einen Termin für den Zuckertest. An diesem Tag begann unser größter Albtraum. Mein Mann fuhr mich zum Termin, als ich plötzlich zwei oder drei extrem starke Wehen bekam. So stark, das ich sie schon richtig veratmen musste.

Mir kam das alles sehr komisch, vor aber zum Glück waren wir dann ja schnell in der Praxis. Dort angekommen, legte mich die Arzthelferin direkt ans CTG, um zu gucken, ob ich wirklich Wehen hatte.

Zu dem Zeitpunkt hatte ich durchgehende Schmerzen im Unterleib. Als ich fertig war, ging ich auf die Toilette, weil ich dachte, dass ich vielleicht ,groß‘ müsste und dass das dieses unangenehme Gefühl auslösen würde. Auf der Toilette verspürte ich einen Druck nach unten, allerdings eher aus meiner Scheide. Ich bekam Panik, tastete vorsichtig in der Region und spürte so etwas wie eine Kugel. Das versetzte mich noch mehr in Panik und ich nahm mein Handy, um ein Foto zu machen, um sehen zu können, was dort ist. Auf dem Foto sah man eine weiße Kugel und ich wusste nicht, was das sein konnte. Ich hatte aber immer mehr das Gefühl, dass diese Kugel heraus möchte. Es fühlte sich so schrecklich an, an meine Gefühle in dieser Situation erinnere ich mich bis heute.

Als ich aufstand, um nach Hilfe zu suchen, platzte plötzlich meine Fruchtblase. Ich habe geweint und hatte solch eine Angst.

Ich wurde wieder ans CTG gelegt und meine Ärztin kam sofort mit dem Ultraschallgerät. Beide Herzchen schlugen noch. Die Ärztin rief sofort den Krankenwagen. Ich wurde in die Klinik gefahren, in der ich dann stationär bleiben sollte, bis die Kinder kommen oder geholt werden müssen.

Es war ein Auf und Ab der Gefühle. Mir wurde ständig gesagt, das jeder Tag zählt. Ich bekam Wehenhemmer und zur Sicherheit die Lungenreifespritze.

Nach 10 Tagen bekam ich dann Blutungen. Immer stärker, doch kein Arzt konnte erkennen, woran es liegt.

Eine Ärztin ging von einer Plazentalösung aus, da meine Entzündungswerte langsam anstiegen. So wurden mein Junge und mein Mädchen in der SSW 25+5 per Kaiserschnitt geholt.

Ich hatte Angst um das Leben meiner Kinder und auch vor dem Kaiserschnitt selbst. Als alles vorbei war, durfte ich am nächsten Morgen meine Babys sehen. Meine Tochter wog 580g und war 30cm groß.  Mein Sohn wog 700g und war 32cm groß. Überall Kabel und Nadeln an diesen kleinen Körpern. Ich musste weinen. Tagelang. Diese Situation war das Schlimmste, das mir im Leben bis dahin passiert ist.

Am 24. Tag nach der Geburt war ich abends bei meinen Babys, um sie zu besuchen und meine Muttermilch zu bringen. Meiner Tochter ging es nicht gut.

Sie wurde seit einigen Tagen wieder intubiert und sie versuchten gerade, sie wieder auf eine eigenständige Atmung umzustellen.

Doch leider tolerierte sie es nicht. Ihr Bauch war stark aufgebläht und steinhart. Mir wurde gesagt, dass im Röntgenbild viel Luft zu sehen war. Die Ärztin meinte zu mir, das ihr Zustand kritisch sei.

Total aufgelöst und verheult verließ ich die Klinik mit einem ganz schlechten Gefühl. Mein Mann versuchte mich aufzumuntern und mir Mut zuzusprechen. Ich sollte noch einmal anrufen, wenn ich zu Hause angekommen war, da nochmal ein Röntgenbild gemacht werden sollte. Als mein Mann anrief, gab es leider keine guten Nachrichten für uns. Im Röntgenbild hatten die Ärzte Blutreste im Magen gesehen und auch im Stuhlgang meiner Tochter wurde Blut gefunden. Die Schwester am Telefon meinte, sie geben alles und sie hoffe sehr, dass sie sich nicht mehr bei uns melden müsse.

Gegen halb eins in der Nacht klingelte das Telefon meines Mannes – und es gab einfach nur schreckliche Nachrichten.

Die Werte unserer Tochter waren nicht gut. Es gab zwei Möglichkeiten, quasi Pest und Cholera: Entweder würden die Ärzte eine Not-OP machen, bei der aber nicht sicher war, ob sie sie mit ihren schlechten Werten überleben würde, oder aber es würde ein Schnitt in den Bauch gemacht werden, um Druck abzulassen – aber das wäre ebenfalls äußerst riskant.

Wir sollten uns also auf den Weg in die Klinik machen. Mein Schwager kam, um auf die Kinder aufzupassen und wir rasten in die Klinik.. Dort angekommen, brach ich in Tränen aus.

Mein kleines Mädchen war total angeschwollen. Sie war zugedeckt, doch ein Fuß schaute raus, der lila-rot und dick war.

Uns wurde gesagt, dass es keine Optionen mehr für unsere Tochter gäbe. Ich konnte das nicht fassen, ich fühlte mich wie in einem falschen Film, wie in einem Traum und wartete, bis mich endlich jemand aufweckt. Doch leider war das meine Realität.

Ich werde niemals dieses penetrante Geräusch von der Beatmungsmaschine vergessen, und die niedrigen roten Zahlen am Monitor. Wir wurden gefragt, ob wir sie taufen lassen möchten, bevor sie von uns geht und entschieden uns dafür. Es kam eine Pfarrerin, die unsere Tochter taufte, bevor sie von uns ging.

Ich wurde gefragt, ob ich sie in den Arm nehmen möchte auf ihrem letzten Weg. Mein Mann riet mir davon ab, weil er mir ans Herz legen wollte, sie in Erinnerung zu behalten, wie ich sie vorher sah. Doch auch, wenn ich unendliche Angst vor diesem Schritt hatte und mir niemals zugetraut hätte, dass ich das tun würde, habe ich mich dafür entschieden. sie im Arm zu halten. Es war für mich selbstverständlich, dass ich ihr die letzte Ehre als Mama erweisen würde und sie nicht alleine im Inkubator sterben lasse.

Die Geräte durften natürlich nicht abgestellt werden, deswegen wurde die Beatmung meines Kindes wieder auf die andere Art umgestellt.  Die Ärztin meinte zu uns, dass sie nicht sagen könne, wie lange es dauern würde, bis es vorbei ist.

Der Monitor in unserem Raum wurde ausgemacht, damit wir es nicht direkt mitbekommen. Die Ärzte hatten aber vom Überwachungsraum aus alles im Blick. Ich bekam sie auf den Arm und mein Mann und ich weinten und sprachen zu ihr. Wie sehr wir sie jetzt schon lieben, wie wunderschön sie sei und dass sie für immer einen Platz in unserem Herzen haben wird. Und dass sie genau so viel von Wert und Bedeutung hat wie ihre Geschwister.

Am Ende sagten wir, dass es okay sei, loszulassen und sie sich nicht mehr quälen brauche. Plötzlich roch ich, dass sie Stuhlgang entleerte und mir war klar: Sie hat losgelassen. Ich sagte weinend zu meinem Mann, dass sie gegangen sei.

Einige Sekunden später kam die Ärztin herein, sagte, dass es vorbei sei und dass sie sie nochmal abhören müsste. Sie hörte sie ab, und sagte darauf, dass es ihr unendlich leid tut.

Es war schwer, sie loszulassen, sie wieder herzugeben und zu wissen, dass sie nie wieder zurückkommen wird. Zu wissen, das ich sie nie wieder sehen werde, sie nicht aufwachsen sehen werde und niemals ihren Namen rufen werde.

Unsere Tochter ist an der nekrotisierenden Enterokolitis gestorben. Bakterien im Darm, die sich rasendschnell verbreiten und das Leben kosten können.

Unser Sohn schaffte es und wurde vor drei Wochen aus der Klinik entlassen. Er ist bei uns und wir sind glücklich, doch es wird immer ein großer Teil fehlen.

Ich habe niemals damit gerechnet, in so eine Situation zu kommen und möchte allen Eltern, die das erleben sollten, ans Herz legen, für ihr Kind in den letzten Momenten da zu sein und sie im Arm zu halten. Ich hätte niemals gedacht, dass ich das tun würde oder schaffen würde, aber ich bin glücklich, das ich es getan habe, weil ich es andersrum bereut hätte. Genauso möchte ich allen Müttern in ähnlicher Situation sagen, das sie sich nicht die Schuld daran geben dürfen.

Mich plagen bis heute noch viele Fragen. Wieso ist das passiert? Warum wurde mir mein Mädchen genommen? Doch ich halte an dem Gedanken fest, das sie vor schlimmeren Leid bewahrt wurde und dafür jetzt ein schöneres Leben im Paradies leben darf. Sie wird immer unser Engel sein und niemals vergessen werden.

Und noch eine Sache: Spendet Blut, Plasma oder Muttermilch, wenn ihr könnt. Erst durch diese Erfahrung habe ich gelernt zu wertschätzen, dass es Menschen da draußen gibt, die spenden. Erst, als meine Zwillinge es brauchten, um zu überleben. Ich habe meine Muttermilch gespendet und hoffe, dass einige Frühchen davon profitieren konnten.“

 

Liebe Mirja, vielen Dank, dass du uns deine berührende Geschichte anvertraut hast. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!

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Laura Dieckmann

Als waschechte Hamburgerin lebe ich mit meiner Familie in der schönsten Stadt der Welt – Umzug ausgeschlossen! Bevor das Schicksal mich zu Echte Mamas gebracht hat, habe ich in verschiedenen Zeitschriften-Verlagen gearbeitet. Seit 2015 bin ich Mama einer wundervollen Tochter.

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