Alltagstest: „Wie es sich anfühlt, meine Tochter zweisprachig zu erziehen“

Unsere Autorin Timea Sternkopf ist Mutter einer zweijährigen Tochter und wohnt in der Nähe von München. Sternkopf wuchs zweisprachig auf – lernte Deutsch von ihrer Mutter und ungarisch von ihrem Vater. Wie es sich jetzt anfühlt, die eigene Tochter bilingual zu erziehen, erzählt sie hier:

„Wozu soll das gut sein?!“ fragte mich mein Mann, als ich ihm von meinen Plänen erzählte, unsere Tochter, die damals noch in meinem Bauch heranwuchs, zweisprachig zu erziehen. Da es sich um die ungarische Sprache handelt, mag seine Frage im ersten Moment gerechtfertigt sein. Was soll man auch mit einer finnugrischen Sprache anfangen, die nicht einmal ansatzweise Ähnlichkeiten aufzeigt mit irgendeiner anderen Sprache unserer Nachbarländer?

Ich selbst bin zweisprachig aufgewachsen: Deutsch und Ungarisch gehörten von Anfang an zu meinem Leben. Für mich war es einfach nur selbstverständlich, dass ich meine „Vatersprache“ auch weitergeben wollte. Meine Eltern sprechen beide mehrere Sprachen und so wurde mir Sprachtalent quasi in die Wiege gelegt. Aber ich denke mein Interesse für Sprachen könnte auch aus meiner bilingualen Erziehung stammen, und so sah ich noch weniger Anlass dafür, meiner Tochter eine zweite Sprache vorzuenthalten.

Zum Glück änderte mein Mann seine Meinung zu dem Thema und ist heute mittlerweile froh, dass ich mit unserer zweijährigen Tochter Ungarisch spreche.

Sicherlich gibt es viele Mamas und Papas, die zuerst skeptisch sind bei der Vorstellung, dass ihr Kind eine ihnen fremde Sprache sprechen wird und dass der Partner eine eigene „Geheimsprache” mit dem Kind teilt. Hätte ich beschlossen, mit meiner Tochter Englisch zu sprechen, wäre der anfängliche Aufschrei meines Mannes bestimmt nicht so groß gewesen. Doch Ungarisch verstand er leider genauso wenig wie Chinesisch – also gar nicht. Seit unsere Tochter geboren wurde, vermehrte sich sein nicht vorhandener ungarischer Wortschatz rapide: eine Vielzahl von Tiernamen und alltägliche Aktivitäten wie waschen, schlafen, essen klingen nun in seinen Ohren auch nicht mehr ganz fremd. Nicht nur meine Tochter lernt Ungarisch – auch mein Mann!

Der Unterschied besteht natürlich darin, dass man als Erwachsener nicht  dieselbe Unbeschwertheit beim Lernen einer neuen Sprache aufzeigt wie kleine Kinder. Meine Tochter muss sich nicht extra anstrengen oder Unterricht nehmen, um Ungarisch zu lernen. Normalerweise kann sich keiner dran erinnern, wie er seine Muttersprache gelernt hat, da es ein natürlicher Prozess ist. Besonders amüsant finde ich die Frage: “Versteht dich deine Tochter, wenn du mit ihr Ungarisch redest?” Ich bezweifle doch auch nicht, dass nordfriesische Kinder ihre Mutter verstehen…

Ich versuche das „Eine Person – eine Sprache”-Prinzip konsequent anzuwenden – ich rede also nur ungarisch mit meiner Tochter, während mein Mann (offensichtlich) nur deutsch mit ihr spricht. Wichtig ist es also, bei einer Sprache zu bleiben, wenn du alleine mit deinem Kind sprichst, so lernt dein Kind in der jeweiligen Situation die Sprache richtig zuzuordnen.

 

Wobei die Konsequenz im Alltag oft zu wünschen übrig lässt. Meine Mutter gab mir von Anfang an den Rat, ich solle mit unserer Tochter ganz nur ungarisch reden. Da die gemeinsame Familiensprache und die Umgebungssprache automatisch deutsch ist, liegt es an mir, streng zu bleiben im sprachlichen Umgang mit unserer Tochter. Und das ist oft nicht einfach, denn meine eigene Höflichkeit steht mir im Weg. Wenn ich mit ihr in Gesellschaft bin, verfalle ich zunehmend ins Deutsche, da ich es als unhöflich erachte, vor anderen Menschen in einer fremden Sprache zu sprechen. Wichtig ist es, bei einer Sprache zu bleiben, wenn du alleine mit deinem Kind sprichst, so lernt dein Kind in der jeweiligen Situation die Sprache richtig zuzuordnen.

Leider ist die ungarische Sprache für mich auch nicht mehr so natürlich, wie sie es mal war, da ich seit vielen Jahren in Deutschland lebe und meine ungarischen Verwandten und Freunde nun mal nicht. Ich erwische mich dabei, wie ich ab und an deutsche Wörter einfließen lasse, wenn ich meiner Tochter etwas erkläre. Was weiß ich, was „Einhorn“ auf Ungarisch heißt! Die meiste Zeit gebe ich mir allerdings Mühe und poliere so meine eigenen eingerosteten Sprachkenntnisse auf.

Die Angst vor dem Phänomen „doppelte Halbsprachigkeit” habe ich dennoch nicht. Es bedeutet, dass Kinder zwar zwei Sprachen sprechen, aber keine davon richtig. Das könnte eher in Familien zum Problem werden, in denen beide Eltern eine fremde Sprache sprechen, aber mit der Zeit die Umgebungssprache (in Deutschland = Deutsch) vermehrt zu Hause anwenden, doch diese mit fehlerhafter Grammatik.

Über die zweisprachige Erziehung herrschen viele Meinungen und Studien. Die einen sagen, das Kind würde später anfangen zu reden, zwei Sprachen überforderten sein Gehirn, und es bräuchte länger um seine Muttersprache zu erkennen und diese bewusst anzuwenden.

Die anderen schwören auf die Zweisprachigkeit, nicht nur wegen der positiven frühkindlichen Sprachentwicklung, sondern auch durch deren Einfluss auf die Flexibilität des Gehirns im hohen Alter, wenn die geistigen Fähigkeiten so langsam wieder abnehmen. Mehrsprachige Kinder können sich laut einer Studie der University of Chicago besser in andere hineinversetzen, sie sind empathischer als einsprachige Kinder. Weitere Studien haben gezeigt, dass mehrsprachig aufwachsende Kinder sich besser konzentrieren und Konflikte lösen können. Zürcher Forscher fanden bei einer Studie mit Kleinkindern heraus, dass bilinguale Kinder eher mit komplexen Situationen umgehen und diese verstehen können, als einsprachig aufwachsende Kinder.

Statistik hin oder her, letztendlich muss das jeder für sich entscheiden, ob eine zweisprachige Erziehung sinnvoll und natürlich ist. Meine inzwischen zweijährige Tochter zum Beispiel fing nicht später mit dem Sprechen an – ganz im Gegenteil. Sie quasselt wie ein Wasserfall und das hauptsächlich auf Deutsch. Hin und wieder aber sieht sie ein „ló” und kein Pferd auf der Koppel, die meisten Hasen heißen bei ihr „nyuszi” und statt einem T-Shirt zieht sie eben ein „poló” an. Ihr leicht gemischter Wortschatz ist noch weit von den wirren Gesprächen entfernt, die ich mit meiner Schwester führe. „Deugarisch“ oder „Ungeutsc“h ist da wohl die beste Bezeichnung dafür.

Tamara Müller
Als süddeutsche Frohnatur liebe ich die Wärme, die Berge und Hamburg! Letzteres brachte mich vor sieben Jahren dazu, die Sonne im Herzen zu speichern und den Weg in Richtung kühleren Norden einzuschlagen. Ich liebe die kleinen Dinge im Leben und das Reisen. Und auch wenn ich selbst noch keine Kinder habe, verbringe ich liebend gerne Zeit mit ihnen.

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