Wie mich mein Kind zum Sensibelchen machte

Ich weinte und weinte und weinte.

Ich konnte nicht mehr aufhören zu weinen, als ich mir Angelina Jolies neueste Regiearbeit „Der weite Weg der Hoffnung“ anschaute. Zwei Stunden lang dem Leid der Kambodschaner zu Zeiten des Pol-Pot-Regimes zuzuschauen ist sicherlich für jeden Zuschauer harter Tobak.

Doch kann es sein, dass wir Mamas noch etwas näher am Wasser gebaut sind, als unsere „alten“ Ichs vor der Geburt unserer Kinder?

Emotional war ich schon immer – mein ungarisches Temperament lässt mich von Zeit zu Zeit aufbrausend und melancholisch sein. Doch ich weiß auch, dass ich früher nicht so ein Sensibelchen war.

Inzwischen fließen bei jedem noch so seichtem Drama die Tränen in Strömen; bei tiefgründigen Filmen wie dem über Kambodscha, bin ich sogar stundenlang in einer Art traumatisierten Zustand der unangenehm intensiven Empathie. Nach dem Film dachte ich ununterbrochen darüber nach, wie glücklich wir uns schätzen können in einer friedlichen und sicheren Welt zu leben hier in Westeuropa. Unsere „Probleme“ erscheinen so unbedeutend im Angesichts des Leids, das viele andere Menschen tagtäglich erleben müssen.

Ich entdecke mein neues Ich als „Sensibelchen“ auch jedes Mal, wenn ich mir einen Horrorfilm oder Psychothriller anschaue. Ich liebe das Grusel-Genre mit all seinen furchtbaren Schockmomenten, die gleichzeitig so wunderbar unterhalten. Als Journalistin schreibe ich auch regelmäßig Filmkritiken vor allem zu Filmen aus diesen Bereichen.

Doch auch hier bemerke ich eine grundlegende Veränderung meiner antrainierten Abhärtung gegenüber filmischem Mord und Totschlag. Ich ertappe mich dabei, wie ich immer tiefer in den Sessel rutsche bei Gruselfilmen und kaum noch hinschauen kann bei Gewaltszenen. Meine Gedanken führen mich immer wieder zu meiner zweijährigen Tochter, meine Gefühlswelt ist durch die  Muttergefühle um einiges vielfältiger und vor allem empfindlicher geworden.

Der letzte Horrorfilm, der mich an meine Grenzen brachte war „Es“. Ein widerlicher Grusel-Clown war dabei gar nicht so das Problem, sondern die einfühlsam erzählte Coming-of-Age-Story der jungen Protagonisten, die alle schon in jungen Jahren viel Leid miterleben mussten und mit Mobbing an der Schule zu kämpfen hatten.

Als ich meine Freundin, die ebenfalls eine zweijährige Tochter hat, fragte, ob sie ins Kino mitkommen möchte, sagte sie: „Frag mich in zwei Jahren, vielleicht bin ich dann wieder bereit…“ Es geht offenbar nicht nur mir so.

Legen wir die neu gewonnene Sensibilität jemals wieder ab? Liegt es am zarten Alter unserer Kinder, dass wir so „Weicheier“ geworden sind?

Ganz schlimm erwischt es mich, wenn in Filmen eine Geburt gezeigt wird. Das ist echtes Hardcore-Kino für mich als Mama. Da kommen die eigenen Erfahrungen wieder hoch: die Erleichterung, die man verspürte, und das Glück, seinen Nachwuchs endlich in den Händen halten zu dürfen.

Am Ende von Jolies „Der weite Weg der Hoffnung“ wird auch eine Geburt gezeigt.

Ich schluchzte und schluchzte und schluchzte.

Timea Sternkopf
Ich lebe mit meiner knapp dreijährigen Tochter und meinem Mann in München und arbeite als freie Autorin und Dolmetscherin. Ich bin nicht nur eine echte Mama, sondern auch ein echter Film- und Serienjunkie. Neben „Game of Thrones“ hege ich eine ebenso große Liebe zu thailändischem Essen und zum Reisen.

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