Ja, ich bin ein Heuchler – meiner Tochter zuliebe

Liebe Echte Mamas, ich fühle mich manchmal wie ein echter Heuchler. Warum? Weil ich Dinge tue, die ich vor meiner Tochter verheimliche. Trinken, rauchen, fernsehen, Junkfood und Schokolade essen und am besten alles (außer rauchen) auf der Couch: Wenn es um diese Dinge geht, messe ich nach zweierlei Maß. Unsere Vorbildfunktion in der Rolle als Mama für unseren Nachwuchs ist nicht nur in den ersten Lebensjahren prägend. Kinder lernen durch Beobachtung des Verhaltens ihrer Vorbilder – das nennt man Modelllernen oder soziales Lernen. Würde ich den ganzen Tag vor meiner Tochter Nutellabrote futtern, beim Spazierengehen rauchen, auf der Couch rumlümmeln und fernsehen, hätte das mit Sicherheit negative Auswirkungen auf ihr Verhalten. Da ich weiß, wie ungesund diese Dinge sind, unterlasse ich sie vor ihr und predige „setz dich an den Tisch“, „der Fernseher bleibt ausgeschaltet“, „du hattest genug Süßgikeiten“ etc. Ich mag es außerdem überhaupt nicht, wenn andere Erwachsene vor ihr rauchen. Das gehört ausschließlich in die Welt der Erwachsenen.

Doch jeden Abend, wenn sie friedlich in ihrem Bettchen schlummert, fühle ich mich ein bisschen mehr wie ein Heuchler: Ich setze mich vor die Glotze und streame stundenlang Serien, trinke dazu ein Glas Wein, esse Eis oder ein Stück Schokolade und gehe hin und wieder auf der Terrasse eine Zigarette rauchen. Das fühlt sich alles so unglaublich gut an nach einem vollen und anstrengenden Tag. In der Arbeit, bei der Kindererziehung und im Haushalt müssen wir erwachsen sein und Verantwortung zeigen. Wir müssen Geld verdienen, unsere Kinder versorgen, einigermaßen Sauberkeit und Ordnung ins tägliche Chaos bringen und dabei als Vorbild agieren. Das gehört nunmal zum Leben dazu und ist nicht weiter tragisch. Allerdings brauche ich einen Ausgleich zu dieser tagsüber gut funktionierenden Frau.

Schokolade macht mich zum Heuchler

Ich liebe Schokolade. Herrlich. Dieser köstliche Geschmack, der auf meiner Zunge zergeht, das Knacken wenn ich ein Stück von einer Tafel abbreche (die vermutlich noch am selben Abend komplett aufgegessen wird) – ich möchte das nicht missen. Trotzdem habe ich meiner Tochter in den ersten beiden Lebensjahren keine Schokolade gegeben. Ich wollte dieses Teufelszeug vor ihr fernhalten. Nach dem Motto „was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“, hatte ich nicht das Gefühl, das ich ihr etwas nehme, was ihr fehlen könnte. Wenn ich doch mal ein Nutellabrot vor ihr aß, sagte ich tatsächlich, dass das Kaffeecreme ist, denn Kaffee interessierte sie nicht.

Alles mit Schoki ist leider einfach zuuuuu lecker… Foto: Bigstock

Mittlerweile ist sie vier Jahre alt und natürlich liebt sie Schokolade. Sie bekommt auch hin und wieder ein Stückchen. Aber ich muss zugeben: nicht so viel wie ich. Die Schokoportionen werden ordentlich rationiert und nicht nach Lust und Laune zur Verfügung gestellt. Schokolade ist ungesund und voller Zucker, wieso sollte ich meiner Tochter so etwas freiwillig geben? Doch Moment! Mir selbst gönne ich den Spaß, wann ich will. Tja, ich bin eben ein Heuchler.

Fernsehen ist böse

Als leidenschaftlicher Cineast und Serienjunkie konsumiere ich fast täglich Streaming-Inhalte. Meine Tochter darf jeden Abend eine fünf bis maximal zehn Minuten lange Folge einer Zeichentrickserie anschauen. Am Wochenende, wenn wir etwas länger schlafen wollen als sie, darf sie auch mal länger schauen. Das ist purer Selbstzweck. In ihren ersten drei Lebensjahren gab es Peppa Wutz nur als Ausnahme auf langen Reisen oder wenn sie krank war. Fernsehen ist böse, das wissen wir doch alle, oder? Binge Watching gibt es nur für Mama und Papa, die süchtig nach „Game of Thrones“ und „Stranger Things“ sind.

Wir sollten unseren Kindern gute Manieren beibringen. Pizza auf der Couch essen gehört sicherlich nicht dazu. Bei Mahlzeiten, wo meine Tochter anwesend ist, sitzen wir alle brav zusammen am Esstisch. Essen mein Mann und ich abends mal eine Pizza, wenn unser Sonnenschein bereits im Bett ist, kämen wir gar nicht auf die Idee, uns an den Tisch zu setzen. Pizza, Couch, Netflix – das ist eine tolle Kombination. Ja, ich weiß, ich bin ein Heuchler…

Paar schaut Fernsehen

Endlich Feierabend! Foto: Bigstock

Rauchen ist schlecht für die Gesundheit, das ist klar. Diese unvernünftige Angewohnheit habe ich bereits einige Male in meinem Leben abgelegt, doch sie holt mich immer wieder ein. Ich rauche zwar nur sehr unregelmäßig und relativ wenig, aber das dafür mit Genuss. Wenn meine Tochter ein Teenager wird, werde ich vehement gegen die ungesunden Glimmstängel wettern. Ich möchte nicht, dass sie die selben Fehler macht wie ich. Rauchen werde ich niemals vor ihr. Ich persönlich finde das Bild einer rauchenden Mutter, die einen Kinderwagen schiebt, fürchterlich. Es gibt eben Dinge, die sollten wir heimlich tun, wenn wir sie schon tun. Dann bin ich doch lieber ein Heuchler als ein schlechtes „Modell“ zum Nachahmen. 

Geht es nur mir so, oder kennt ihr auch dieses Gefühl der Unaufrichtigkeit? Seid ihr auch manchmal kleine Heuchler?

Timea Sternkopf
Ich lebe mit meiner knapp dreijährigen Tochter und meinem Mann in München und arbeite als freie Autorin und Dolmetscherin. Ich bin nicht nur eine echte Mama, sondern auch ein echter Film- und Serienjunkie. Neben „Game of Thrones“ hege ich eine ebenso große Liebe zu thailändischem Essen und zum Reisen.

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