Hallo Schwiegermama, zum Glück liegen 500 Kilometer zwischen uns

Hallo Schwiegermama, 

ich glaube, es ist ganz gut, dass uns fast 500 Kilometer trennen. Auch wenn du das nicht so siehst. Ich weiß, dass du Vieles nur gut meinst. Aber leider machst du mich ziemlich oft ziemlich wütend.

Wir sehen uns vielleicht vier Mal im Jahr. Jedes Mal freust du dich schon Wochen vorher. Um dann – wenn wir bei dir sind – nichts zu tun. Du sitzt im Sessel und guckst meinen Kindern beim Spielen zu, anstatt mitzuspielen. Du wäscht ab, anstatt mit auf den Spielplatz zu gehen. Du guckst abends fern, anstatt ein Buch vorzulesen.

Ich beobachte das Ganze und schwanke zwischen Wut, Enttäuschung und Verständnislosigkeit. Wut auf deine Bequemlichkeit. Enttäuschung darüber, dass meine große Tochter es mittlerweile schon aufgegeben hat, dich zum Spielen aufzufordern. Verständnislosigkeit darüber, dass deine Enkel doch eigentlich dein großes Glück sind und du diese wunderbaren gemeinsamen Momente nicht nutzt.

Du wirst nur aktiv, wenn es um die Erziehung geht. Die Kinder essen zu laut, schlafen zu viel (echt jetzt, Schwiegermama?), spielen zu wild und reden zu schnell. Das sagst du ihnen auch ständig. Find ich nicht so nett, ehrlich gesagt. Die beiden sind mit ihren vier Jahren und einem Jahr noch ziemlich klein und vergessen deine ständigen Ermahnungen zum Glück immer schnell.

Ich versuche oft, mich in dich hineinzuversetzen, um zu verstehen, warum du tust, was du tust. Warum verstehst du nicht, dass manche (kleinen) Menschen lieber ein trockenes Brötchen essen, statt sich dick Butter drauf zu schmieren wie du. Warum erzählst du meiner großen Tochter, dass Tiere wie Mäuse oder Tauben „böse“ sind? Warum hast du während meiner Schwangerschaft zu mir gesagt, dass ich das Kind, falls es eine Behinderung hat, abtreiben lassen soll?

Häufig spielt sicherlich Angst eine Rolle. Ich sehe sie in deinen Augen, wenn du vor Schreck aufschreist, weil der Kleine sich, gerade neun Monate alt, selbstständig am Stuhl hochzieht. Wenn meine Tochter über die Sofas hoppst, siehst du sie schon mit Beinbruch im Krankenhaus. Und stopft der Zwerg sich eine halbe Kartoffel in den Mund, holst du sie eigenhändig wieder heraus.

In solchen Situationen tust du mir manchmal leid. Weil diese Angst ja ehrlich ist. Das sind vielleicht Oma-Gefühle, die ich nicht kennen kann. Ich habe dafür aber ein Gefühl für meine Kinder: Was ich ihnen zutrauen kann und was nicht. Lass uns darüber reden. Damit es dir besser geht und du die Kinder nicht ständig erschreckst mit deiner Angst.

Wir beiden könnten unterschiedlicher nicht sein. Ein Altersunterschied von fast 40 Jahren. Du vom Dorf, ich aus der Stadt. Du warst immer Vollzeitmutter, ich hatte jeweils nur ein Jahr Elternzeit. Du putzt den ganzen Tag das Haus, ich schaffe oft gerade mal das Nötigste in meinem Haushalt. Nichts ist besser oder schlechter, zumal deine Lebenserfahrung meine um Längen toppt. Trotzdem nehme ich mir heraus zu sagen, dass ich der Profi für meine Kinder bin und nicht du.

Aber du liebst sie von ganzem Herzen. Das spüre ich und das rechne ich dir hoch an. Ich kann mit deiner Art, Oma zu sein, leben. Aber nur, weil halb Deutschland zwischen uns liegt und wir uns nicht so oft sehen.

Tamara Müller
Als süddeutsche Frohnatur liebe ich die Wärme, die Berge und Hamburg! Letzteres brachte mich vor sieben Jahren dazu, die Sonne im Herzen zu speichern und den Weg in Richtung kühleren Norden einzuschlagen. Ich liebe die kleinen Dinge im Leben und das Reisen. Und auch wenn ich selbst noch keine Kinder habe, verbringe ich liebend gerne Zeit mit ihnen.

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