Warum muss ich eigentlich immer laut werden, damit hier jemand auf mich hört?

Eigentlich halte ich mich für ziemlich sanftmütig. Ich hasse Streit. Wenn ich mich früher über meinen Mann geärgert habe, habe ich eher leise in mich hineingegrumpft und ihn am nächsten Tag, in aller Ruhe, darauf angesprochen. Das hat meistens ja auch viel besser geklappt als ein großes Drama. Ich war fast ein bisschen stolz auf diesen Wesenszug von mir.

Und dann bekam ich Kinder. Kleine, süße Kinder. Zwei Stück. Unschuldig. Stets darauf bedacht, Mama zu gefallen.

So dachte ich lange. Bis meine beiden etwas größer wurden.

Schreien ist etwas für unbeherrschte Menschen mit einem grundlegenden Aggressionsproblem. Familien, in denen gebrüllt wird, sind nicht normal. Wer schreien muss, um sich zu behaupten, ist schwach.

So dachte ich lange. Bis meine Kinder etwas größer wurden.

Nun ist es aber so: Kein Mensch hat mich bisher so wütend gemacht wie meine Kinder. Diejenigen, die man am meisten liebt, können einen auch am meisten verletzten. Wenn die beiden, einer in der Trotzphase und eine in der Zahnlücken-Pubertät, wie man das Alter von 5-7 jähren wohl nennt, richtig loslegen, muss ich stark sein.

„Mama ist doof!“, „Wäääh, ich wollte den Toast aber nicht durchgeschnitten!“ und „Lass mich in Ruhe!“ – das kann ich alles ab. Ich weiß, dass meine Kleinen in Entwicklungssprüngen stecken, die für sie noch viel schwieriger sind als für mich. Deswegen habe ich für wirklich vieles Verständnis und versuche, gelassen zu reagieren.

Allerdings gibt es Situationen, da kann ich nicht so ruhig bleiben. Wenn mir meine Kinder nicht zuhören – oder es zumindest vorgeben. Sie mich betont ignorieren, durch mich hindurchsehen und wirklich wichtige (!) Dinge einfach nicht tun, wenn ich sie darum bitte. Wenn ich alles zehnmal sagen muss, und es geschieht dennoch nichts. Keine Reaktion.

Dann passiert es: Mir wird heiß. Ich sehe rot. Ich balle die Fäuste.

Und ich schreie sie an. Ich brülle, so wie ich es mir selbst niemals zugetraut hätte. Und es auch nie wollte.

Ich schreie nicht stundenlang. Nein, ich wiederhole meine Bitte oder Frage einfach wahnsinnig laut. Ich muss dabei furchtbar aussehen, wütend und knallrot im Gesicht. Und wenn ich richtig in Fahrt bin, haue ich auch ich auch schon mal auf den Tisch dabei.

Und danach schäme ich mich. Wer schreit denn bitte Kinder an? Habe ich nicht genügend Ratgeber zum Thema gelesen, um zu wissen, dass das nicht gut ist? Gar nicht gut?

Das Schlimmste daran ist aber: Es wirkt. Immer wieder. Die beiden schauen mich erschrocken an und antworten. Oder tun endlich das, worum ich sie seit gefühlten Stunden gebeten habe. Sogar richtig schnell! Manchmal allerdings weint der Kleine vor Schreck – und ich möchte die Zeit zurückdrehen.

Meine Große hat ich neulich einmal gefragt, warum ich denn so häufig schreie. Das tat mir natürlich wahnsinnig leid.

Aber es ist einfach so, warum, verstehe ich bis heute nicht: Manchmal muss ich einfach so richtig ausflippen, damit ich beachtet werde.

Meine Kinder müssten doch inzwischen wissen, was irgendwann kommt. All meine Ausraster könnten ganz leicht vermieden werden.

Aber das passiert nicht.

Ihre Ohren und meine Stimme, sie würden es ihnen danken, wenn sie vielleicht „schon“ beim, sagen wir, dritten Mal auf meine Ansprache reagieren würden.

Aber das passiert nicht.

Leider lernt mein Brüll-Ich daraus nur, dass es sich manchmal aus meinem Bauch den Weg nach draußen bahnen muss. Das sanfte Ich, das mir so viel besser gefällt, ungestüm zur Seite schubsen und ausbrechen muss. Ich hasse das Brüll-Ich. Aber es kommt immer zum Ziel.

Es ist so sonderbar, dass meine Kinder nicht wissen, wie leicht sie Rumpelstilzchen im Zaum halten könnten. Oder es gar nicht wollen. Deshalb wird es wohl noch lange so weitergehen. Ich werde mich wiederholen und wiederholen – bis die eine Situation kommt, die mein inneres Fass zum Überlaufen bringt.

Danach fühle ich mich kurz erleichtert, weil ich mir endlich Gehör verschafft habe. Und dann ganz schlecht.

Ich träume schon jetzt vom dem Tag, an dem meine Kleinen erkennen, wie harmonisch unser Leben sein könnte, wenn sie mich nur nicht mehr so auflaufen lassen würden. Das wird wunderbar! Ich sehe uns schon fröhlich, tanzend und singend wie die Figuren in einem Disney-Film, miteinander durchs Leben gehen.

Laura Dieckmann
Als waschechte Hamburgerin lebe ich mit meiner Familie in der schönsten Stadt der Welt – Umzug ausgeschlossen! Bevor das Schicksal mich zu Echte Mamas gebracht hat, habe ich in verschiedenen Zeitschriften-Verlagen gearbeitet. Seit 2015 bin ich Mama einer wundervollen Tochter.

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