In die Notaufnahme oder nicht? Über eine manchmal so schwere Entscheidung

Überfüllte Notaufnahmen, Eltern, die sonntags mit einem quietschvergnügten Kind den Wartebereich der Ambulanzen bevölkern, scheinbar dramatische Fieberverläufe bei Zweijährigen. Zur Zeit hört man ständig davon, dass eine Notaufnahme längst nicht mehr nur in Notfällen besucht wird. Dass Eltern nicht mehr einschätzen können, was gefährliche Symptome sind und was bis zum nächsten Wochentag und auf den niedergelassenen Kinderarzt warten kann.

Ich hab auch schon mal innerlich mit dem Kopf geschüttelt, wenn eine Mutter mir montags erzählte, weshalb sie mal wieder am Wochenende mit dem Kleinkind ins Krankenhaus mussten (und die Sache dann mit einem Zäpfchen erledigt war). Gleichzeitig denke ich aber auch, dass es für jeden einzelnen von uns so dermaßen schwer sein kann, im Fall des eigenen kranken Kindes die richtige Entscheidung zu treffen.

Oftmals fehlen erfahrene Großeltern, weitere Familienmitglieder oder ein größeres Netzwerk an Familien mit ähnlichen Erfahrungen um einen herum. Niemand beruhigt einen, wenn das Fieberthermometer seit Stunden über 39 Grad anzeigt. Und muss diese blutende Wunde genäht werden oder reicht ein Pflaster? Niemand möchte als überängstlich abgestempelt werden und kein Elternpaar würde von sich sagen, dass sie hysterisch sind. Und trotzdem kommt wohl jeder mal in die Situation, in der die Notaufnahme die für einen persönlich richtige Entscheidung ist.

So auch bei uns. Als alles vorbei war, war ich zwar froh, dass es nichts Schlimmes war. Trotzdem fühlte ich mich etwas blöd. Denn auch, wenn das Symptom kurzzeitig ziemlich heftig war, unserem Kind fehlte fast nichts.

Es war Pfingstsonntag. Meine Familie und ich hatten gefrühstückt und ich hob meinen Sohn aus dem Hochstuhl. Es waren nur noch drei Monate bis zu seinem zweiten Geburtstag und er wäre mal wieder am liebsten selbst aus dem Stuhl geklettert. Er machte einen Schritt, knickte ein, sagte „Aua!“ und blieb auf den Knien sitzen. Dann stand er wieder auf – und humpelte.

Wieder knickte er ein, fasste sich an den Fuß, sagte „Aua!“, versuchte einen Schritt zu gehen, fiel hin. Dann beschloss er, einfach nur noch zu krabbeln. Bis er wieder aufstehen wollte und nicht mal stehen konnte. Es war ein Bild des Jammers. Und für uns ein riesiger Schreck. Was war denn das? Wieso konnte das Kind plötzlich nicht mehr laufen!? Es war ja kein Unfall passiert. Und er war eigentlich kerngesund. Scheinbar aus dem Nichts hatte er solche Schmerzen bekommen, dass er nur noch krabbeln wollte.

Wir beschlossen, noch ein paar Stunden zu warten und nach seinem Mittagsschlaf zu entscheiden, ob wir handeln sollten. Den Vormittag über trugen wir ihn durch die Gegend, wenn er nicht von sich aus lieber krabbeln wollte. Unser Sohn war gut gelaunt, vergaß offensichtlich seine Schmerzen auch immer wieder. Bis er erneut versuchte, aufzutreten und mit einem Aufheulen in die Knie ging.

Nach dem Schlaf hatte sich nichts geändert. Ich hatte überhaupt keine Idee, was er haben könnte. Wir ließen unsere große Tochter bei der Nachbarsfamilie und fuhren in die Notaufnahme. Keine spezielle für Kinder, aber es sollte dort einen Kinderarzt geben. Ich packte Wickelsachen, Essen und Spielzeug für einen halben Tag ein – vorbereitet auf stundenlanges Warten.

Es waren dann keine zwanzig Minuten. Minuten, in denen unser Sohn plötzlich immer fitter wurde. Er konnte wieder laufen, wenn auch mit deutlichem Humpeln. Die Ärztin kam. Wir berichteten vom Vormittag. Sie untersuchte unseren Kleinen, stellte Fragen, tastete den Fuß ab. Er sollte noch einmal durch den Raum laufen: lediglich ein leichtes Humpeln war noch zu erkennen. Natürlich war ich erleichtert. Um mich gleichzeitig zu fragen, wie das jetzt sein konnte.

In der Notaufnahme angekommen, ging es meinem Sohn schlagartig deutlich besser! (Symbolbild) Foto: Bigstock

Die Ärztin fragte, ob unser Sohn erkältet sei. Nur die Nase liefe manchmal ein wenig, meinten wir. Sie sagte, dass sie nichts finden konnte und es unserem Sohn ja zum Glück wieder ganz gut gehe. Wahrscheinlich litt er an einer leichten Form des Hüftschnupfens, der bis in den Fuß gezogen war. Hüftschnupfen, so erklärte sie uns, seien Schmerzen in der Hüfte oder im Bein, die während oder nach eines Infektes auftreten können. Wir sollten im Lauf des Tages Fiebersaft geben, dann müsste sich alles beruhigen. Wenn nicht, sollten wir aber am nächsten Tag, wieder ein Feiertag, wiederkommen.

Am Abend war unser Sohn wieder ganz der Alte und am nächsten Tag sprang er schon wieder auf dem Sofa herum. Ich sah ihn nie wieder humpeln. Aber niemand, der die Geschichte von uns hörte, kannte das Phänomen Hüftschnupfen und dieses erschreckende Symptom. Und jeder beteuerte, dass er ebenfalls in die Notaufnahme gefahren wäre.

Bis auf eine Bekannte, auch eine Mutter, die mich sogar richtig auslachte. In ihren Augen werde ich wohl für immer zu der Sparte „überängstliche Mutti“ zählen. Sei’s drum. Mein Mann und ich konnten an diesem Pfingst-Sonntag nicht länger warten und haben die für uns als Familie richtige Entscheidung getroffen.

Laura Dieckmann
Als waschechte Hamburgerin lebe ich mit meiner Familie in der schönsten Stadt der Welt – Umzug ausgeschlossen! Bevor das Schicksal mich zu Echte Mamas gebracht hat, habe ich in verschiedenen Zeitschriften-Verlagen gearbeitet. Seit 2015 bin ich Mama einer wundervollen Tochter.

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