„Ich fühlte nur Hass: So hart traf mich der Baby-Blues“

Das Baby ist da und alle freuen sich. Das stimmt in der Realität leider nicht immer. Rund die Hälfte aller Mütter leiden in der ersten Zeit nach der Geburt unter dem Baby-Blues. 10 bis 15 Prozent von ihnen entwickeln sogar eine echte Postpartale Depression.

Auch „Echte Mama“ Nadine* (23) aus Nordrhein-Westfalen machte nach der Geburt ihres Sohnes eine schwierige Phase durch. Um anderen Müttern Mut zu machen, hat sie uns davon erzählt.

Meine späten Baby-News und die schwierige Schwangerschaft:

„An einem verregneten, kalten Novembertag sollte das größte Glück unseres Lebens seinen Anfang nehmen: Endlich war es so weit, unser Sohn wurde geboren. Mein Freund und ich durften unseren kleinen Schatz kennenlernen – nach Monaten bangen Wartens und quälender Bettruhe.

Denn wir haben erst spät davon erfahren, dass ich schwanger bin – erst im fünften Monat! Direkt bekam ich eine Krankmeldung ausgestellt und die Aussage, dass ich nicht mehr arbeiten dürfe, weil es dem Baby in meinem Bauch nicht so gut gehe. Von Null auf 100 Prozent schwanger, das war anfangs ganz schön heftig. Außerdem war ich kaum ein Jahr mit meinem Freund zusammen und erst 22!

Nachdem wir die Neuigkeit verdaut hatten, freuten wir uns natürlich sehr auf unser kleines Wunder. Wie alle jungen Eltern fieberten wir auf die Ultraschall-Untersuchungen hin und konnten es kaum fassen, dass wir bald eine richtige Familie sein würde. Zu dritt, mit dem süßesten kleinen Sohn der Welt!

Ich musste mich schonen, viel liegen, immer wieder hieß es: ‚Halten Sie bis zur 30. Schwangerschaftswoche durch. Dann haben Frühchen gute Chancen, in der Welt klarzukommen!‘ Aber mein Kleiner hat es sogar bis vier Tage vor dem errechneten Termin geschafft.

So zog sich am Ende das Warten und wir waren überglücklich, als wir unseren Max endlich in den Armen halten konnten. Das Gefühl war überwältigend, Freude pur!

Meine ersten Gefühle nach der Geburt:

Doch schon am nächsten Tag im Krankenhaus merkte ich, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte. Es war so ein merkwürdiges Gefühl, ich konnte gar nicht beschreiben, was genau nicht stimmte.

Natürlich freute ich mich über unser Baby. Aber ich wollte nicht immer mit ihm zusammen sein, wollte ihn nicht ständig bei mir haben. Vor allem beim Stillen fühlte ich mich sehr unwohl. Es klappte nicht richtig, ich mochte es nicht, und schließlich hat sich meine Brust entzündet und es tat zu allem Überfluss richtig weh. Der Entschluss, lieber Fläschchen zu geben als zu stillen, fiel mir leicht und er war schnell gefasst.

So erging es mir die ersten Tage zu Hause:

Als ich nach drei Tagen mit unserem Baby entlassen wurde, merkte ich, dass wirklich etwas nicht mit mir stimmte. Ich hatte Angst vor dem, was kommen würde und davor, wie sich unser Leben jetzt verändern würde. Wenn ich meinen Sohn ansah, fühlte ich kaum mehr Freude.

Wirklich bewusst wurde es mir, als meine Schwiegermutter zu Besuch war. Unser Kleiner war gerade mal fünf Tage alt. Sie fragte, ob sie mit ihm zusammen auf dem Schlafsofa schlafen dürfte. Es war mir völlig egal. Ich war selbst schockiert, dass es mir so egal war. Ich dachte, jungen Müttern würde es so schwer fallen, ohne ihren Schatz zu schlafen. Warum war es mir dann so egal? Fürs Erste schob ich es auf meine Müdigkeit. Aber als ich morgens wach wurde, war der Drang ihn zu sehen, einfach nicht da. Es war mir noch immer egal.

Die Liebe zu meinem Sohn wollte wochenlang nicht kommen. Foto: Bigstock

Mein Baby-Blues wuchs sich zu einer ernsthaften postnatale Depression aus:

Und so kam es, dass ich nur am Meckern war. Ich meckerte, wenn er schrie, wenn er weinte, wenn er einfach die Zweisamkeit mit meinem Freund störte. Ich sah meinen Sohn an und sah in ihm nur noch einen Störenfried. Ich schrie ihn an, er solle endlich ruhig sein und nicht nerven. Dann weinte ich, weil ich mich so sehr schämte, so zu ihm zu sein.

Ich saß teilweise nachts wach, um zu weinen, da ich mich so schlecht fühlte. Wo war dieses unbeschreibliche Gefühl der Liebe, von der alle Mütter berichten? Wo waren diese Momente, in denen ich meinem Kind beim Schlafen zusehe und den Blick nicht abwenden kann?

Kuscheln, Wickeln, Anziehen, Baden – all das war für mich eine Qual und eine Last.

Ich fühlte nur Hass. Und deswegen habe ich mich auch gehasst. Manchmal tue ich das noch heute, auch wenn ich weiß, dass das nicht gesund ist. Ich hasse mich dafür, dass ich jemals so gedacht habe.

Ich war so eine herzlose Mutter. Ich fühlte mich alleine, obwohl ich es nicht war. Ich habe mich so geschämt.

Nach schier endlosen zwei Wochen hatte ich die Kraft, meinem Freund mein Herz auszuschütten. Natürlich hatte er längst gemerkt, dass irgendetwas nicht mit mir stimmte. Er meinte, er hätte mich gar nicht mehr wiedererkannt. Später konnte ich mich auch meiner Schwester anvertrauen.

Es half mir, darüber sprechen zu dürfen. Mein Freund und meine Schwester wussten zuerst nicht, wie sie reagieren sollten. Sie schluckten schwer, aber dann fingen sie an, zu recherchieren, sich über die Themen Baby-Blues und Postnatale Depression zu informieren.

Danach erzählten sie mir davon. Dass es viele Mütter gibt, die so fühlen. Dass ich nicht alleine bin. Dass es an den Hormonen liegt, dass es meistens von selbst vorübergeht. Sie boten mir aber auch Hilfe an, zeigten mir eine Liste mit Psychotherapeuten in der Nähe, falls ich es alleine nicht aus diesem schwarzen Loch herausschaffen würde.

Langsam trat Besserung ein:

Eine Therapie brauchte ich am Ende aber doch nicht. Es wurde ab da von Tag zu Tag besser. Und dann plötzlich war alles anders. Eine gefühlte Ewigkeit nach der Geburt meines Kindes schaute ich morgens in sein Bettchen. Ich sah ihn da liegen, wie einen kleinen Engel und da war es. Dieses unbeschreibliche Gefühl von Liebe. Und dieser Stolz, dieses Baby meinen Sohn nennen zu dürfen.

Ich konnte es nicht glauben, es gab dieses Gefühl tatsächlich! Und wieder weinte ich, aber diesmal aus Freude! Ich wusste, ich habe es geschafft. Ich habe die Wochenbett-Depression überstanden.

Noch heute schäme ich mich, dass ich mich meinen Sohn gegenüber so gemein verhalten habe. Ich weiss aber, dass ich damit nicht alleine bin und dass ich nun die Mutter sein kann, die mein Sohn verdient hat.

Inzwischen ist er sechs Monate alt, und ja, manchmal habe ich Momente, in denen ich weinen könnte und das Gefühl habe, die Depression würde wiederkommen. Aber dann atme ich ein paar Mal tief durch. Ich schaue meinen Sohn an, spüre Liebe für ihn und es geht mir wieder gut.“

*Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt.

P.S. Du fühlst dich auch dauerhaft niedergeschlagen und traurig? Hilfe gibt es bei der Deutschen Depressionshilfe unter der kostenlosen Telefonnummer 0800 33 44 533

Rebecca
Schon seit rund einer Dekade jongliere ich, mal mehr, mal weniger erfolgreich, das Dasein als Schreiberling und Mama. Diese zwei Pole machen mich aus und haben eines gemeinsam: emotionale Geschichten!

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