„Ich habe 6 Kinder, weil ich ein Einzelkind bin und ein Trauma erlitt“

Nach einer einsamen Kindheit und einer traumatischen Jugend wusste „Echte Mama“ Stefanie* (40) aus Baden-Württemberg: Sie will auf keinen Fall ein Einzelkind haben. So wurde sie Vielfach-Mama und ihre Großfamilie gibt ihr jeden Tag aufs Neue Kraft und Halt. Uns hat sie ihre emotionale Geschichte erzählt:

„Mutter zu sein ist für mich der schönste Job der Welt, Liebe und Geborgenheit zu geben und immer für die Kinder da zu sein. Ich weiß erst, was Leben bedeutet, seit ich Kinder habe. 

Ich bin 40 Jahre alt und habe sechs Kinder, das älteste ist neun Jahre alt, das jüngste ist vier Wochen.

Mit meinem Mann bin ich seit 2008 zusammen und seit 2013 sind wir verheiratet. Wir haben am Anfang nie darüber gesprochen, wie viele Kinder wir haben wollen. Nicht nur ich bin Einzelkind, auch mein Mann ist als Einzelkind aufgewachsen und irgendwie war klar, dass wir mehr als ein Kind haben werden.

In meiner Jugend habe ich mich oft nach Geschwistern gesehnt, vor allem, weil ich sehr viel durchmachen musste. Wer weiß, vielleicht wäre vieles anders gekommen, wenn ich einen Bruder oder eine Schwester gehabt hätte, mit dem oder der ich hätte über all das sprechen können, was mir widerfahren ist.

Natürlich ist es auch manchmal schön, Einzelkind zu sein, da man eben im Mittelpunkt steht. Man muss seine Spielsachen nicht teilen, aber was nützen denn tolle Spielsachen, wenn man niemanden zum Spielen hat?!

Ich fühlte mich in meiner Kindheit oft alleine. Wenigstens durfte ich Tiere haben, die waren wie meine Geschwister, nur leider eben stumm. Meine Jugend war nicht das, was man sich für einen Menschen wünscht. Ich denke auch heute noch oft darüber nach, ob es mir in schweren Zeiten nicht geholfen hätte, wenn ich Geschwister gehabt hätte.

Schwere Zeiten, damit meine ich zum Beispiel, dass ich mit zwölf Jahren von einem Mitschüler vergewaltigt wurde. Ich konnte mit niemanden darüber reden und zog mich zurück, ich fing an mich selbst zu verletzen und wurde schwer magersüchtig, ich wollte sterben.

Mit zwanzig Jahren wog ich noch 26 Kilo und fiel ins Koma, Intensivstation. Ich habe knapp überlebt. Hätte ich Geschwister gehabt, vielleicht hätte ich mich ihnen anvertrauen können.

Nach der Gewalttat kapselte ich mich ab. Foto: Bigstock

Ein halbes Jahr später beging mein Vater Selbstmord, ich fand ihn erhängt in seinem Zimmer. Und wieder musste ich alleine damit fertig werden. Natürlich hatte ich auch meine Mutter, die ich sehr lieb habe, aber mit der ich leider nicht darüber reden konnte. Hätte ich Geschwister gehabt, hätten wir uns gegenseitig Halt geben können.

Ich sage immer, ich habe zwei Leben: Die Vergangenheit, in der ich überlebt habe, und die Gegenwart, in der ich lebe und mein Leben einen Sinn hat – nämlich meine Kinder.

Dabei wollte ich früher gar keine Kinder mehr, nach allem, was ich erlebt habe. Nicht wegen der Kinder, sondern eben deshalb, weil man einen Mann dafür braucht und davor hatte ich große Angst. Ich wollte von keinem Mann mehr angefasst werden.

Meine damalige Hausärztin prophezeite mir außerdem, dass ich aufgrund meiner Anorexie ohnehin gar keine Kinder bekommen könnte. Wäre das bei mir ein Thema, so meinte sie, müsste ich zum Frauenarzt, um mir Hormone verschreiben zu lassen. Natürlich bin ich nie zum Frauenarzt gegangen, weil das für mich genauso schlimm gewesen wäre wie mit einem Mann….

Trotzdem entwickelte ich mit Mitte 20 einen Kinderwunsch. Als ich auf die dreißig zuging, wurde der sogar ziemlich stark. Nach über zehn Jahren bekam ich auf einmal, ganz ohne Hormone, wieder meine Menstruation und 2008 lernte ich meinen Mann kennen.

Es war sehr schwer für mich, eine Beziehung aufzubauen. Ich hatte große Angst, aber mein Kinderwunsch – und natürlich mein Mann – halfen mir dabei. Und so wurde ich tatsächlich trotz großem Untergewicht schnell schwanger, es war eigentlich ein Wunder.

Das erste Mal in meinem Leben fühlte ich Liebe und Wärme in mir, das Gefühl nicht mehr alleine zu sein, in mir lebt etwas, bewegt sich etwas. Ein Gefühl, so unwahrscheinlich schön!

Meine erste Tochter kam zur Welt, bald danach folgte die nächste Schwangerschaft. So begann unsere Familie zu wachsen. Meine Seele fing an, langsam gesund zu werden.

Mein erstes Kind änderte zum Glück alles. Foto: Bigstock

Weil ich Krankenhäuser aber nicht mag, habe ich alle meine Kinder ambulant zur Welt gebracht und bin vier Stunden nach der Geburt immer nach Hause.

Inzwischen haben wir eine echte Großfamilie und ich genieße jede Sekunde. Meinen Beruf habe ich aufgegeben, damit ich jede Minute mit meinen Kinder zusammen sein kann, solange es geht. Für mich sind alle Seiten schön, ich liebe den Zusammenhalt, die Liebe und Wärme innerhalb der Familie, das Strahlen in den Kinderaugen. Zusammen spielen, basteln, backen, Quatsch machen – es ist wunderbar.

Heute geht es mir gut und ich bin glücklich mit meiner Familie. Meine Seele wird nie ganz heilen, diese Traumata kann man nicht vergessen, aber man kann lernen, damit zu leben. Ich habe das gelernt und meine Seele hat Frieden gefunden. Ohne meine Kinder hätte ich das nie geschafft. Ich bin mir sicher, ohne Kinder würde ich heute nicht mehr leben.

Es heißt ja immer eine Mutter schenkt einem Kind das Leben, bei mir ist es auch umgekehrt, meine Kinder haben mir das Leben geschenkt, ein neues Leben.

*Echter Name der Redaktion bekannt

Rebecca
Schon seit rund einer Dekade jongliere ich, mal mehr, mal weniger erfolgreich, das Dasein als Schreiberling und Mama. Diese zwei Pole machen mich aus und haben eines gemeinsam: emotionale Geschichten!

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