Mein Mann will kein zweites Kind. Kann ich mich damit abfinden?

Nie hätte ich mir vorstellen können, wie sehr man ein Kind vermissen kann, das es nie gegeben hat. Doch seit einiger Zeit denke ich immer wieder sehnsüchtig an ein zweites Kind. Der Kummer ist natürlich niemals mit dem zu vergleichen, den Menschen empfinden müssen, die eines verloren haben. Sowieso sollte ich dankbar sein, überhaupt einen einzigen, gesunden Sohn zu haben. Trotzdem gelingt es mir nicht, diesen nagenden Wunsch, mein zweites Kind im Arm zu halten, einfach so abzustellen, nur weil mein Mann sehr klar und mit sehr guten Argumenten geäußert hat, dass er keines mehr will.

Plötzlich war da diese Sehnsucht…

Alles begann etwa anderthalb Jahre nach der Geburt unseres Sohnes. Das ist nun zwei Jahre her. Wir saßen zu dritt am Frühstückstisch und alberten ausgelassen herum. Plötzlich fiel mir auf, dass ein Tisch ja vier Seiten hat, und wie schön es wäre, wenn an der leeren Seite noch jemand säße. Noch so ein Zwerg, der einen frech herausfordert und den man trotzdem so sehr liebt, dass man platzen könnte.

Zunächst war es nur ein kleines sehnsüchtiges Ziehen in der Magengegend. Doch es wurde zunehmend stärker, bei immer mehr Anlässen. Zum Beispiel als gleich drei Mütter von Kindergartenfreunden unseres Sohnes mit prallen Bäuchen herumliefen und aufgeregt der Geburt ihres zweiten Kindes entgegenfieberten. Es schien der ideale Zeitpunkt zu sein. Noch würde der Altersabstand nicht zu groß sein, und doch wär das erste Kind schon so weit, dass man ihm etwas zumuten könnte.

„Kein zweites Kind!“ Das klare „Nein“ meines Mannes haute mich um

Als ich mir sicher war, dass es sich bei meinem Wunsch nicht nur um einen spontanen Impuls handelte, sprach ich mit meinem Mann – und war wie vor den Kopf geschlagen, als sein „Nein“ wie aus der Pistole geschossen kam. So klar und eindeutig und ohne Zögern. Ich verstand sofort, dass er es auch so meinte und nicht nur aus Bequemlichkeit den Familienzuwachs vorläufig ablehnte.

Erst schob er es auf die Sorge ums Geld. Die hätte ich entkräften können, schließlich verdiente ich auch. Außerdem fürchtete er angeblich, dass sich unser Alltag verschlechtern würde. Das verstand ich. Im ersten Jahr mit unserem Sohn konnten wir keine Nacht durchschlafen und haben uns oft so doof angezickt, wie es völlig übermüdete Eltern eben tun. „Aber schau dir den Kleinen an“, habe ich gesagt. „Das ist es doch wohl wert.“

Doch an einem Umstand, mit dem er erst danach herausrückte, gab es nichts zu rütteln: Mein Mann hat bereits ein größeres Kind aus einer Vorbeziehung. Die Mutter und er waren schon lange getrennt, als wir uns kennenlernten, und das Mädchen und ich haben ein gutes Verhältnis zueinander. Mein Mann aber leidet darunter, dass er einen weniger intensiven Kontakt zu ihr als zu unserem gemeinsamen Kind hat. Er sagt, dass ihn das manchmal zerreißt. Und er fürchtet, dass ein zweites Kind in unseres Familie dieses Gefühl noch intensivieren würde. Wie sollte ich das wegdiskutieren? Ich habe (heimlich) geweint, wir haben gestritten, aber ich musste es leider akzeptieren: Er ist derjenige, der kein weiteres Kind will. Und ich wollte als Frau fair spielen. Ich finde, wenn man den Wunsch des Partners  nicht akzeptieren kann, muss man sich trennen. Und das wollte ich auf keinen Fall.

Eine Entscheidung, mit der sich (manchmal schlecht) leben lässt

Dass die Entscheidung somit gefallen ist, macht es etwas leichter für mich. Es gibt keine Hoffnung mehr zu hegen oder zu fürchten, dass sie enttäuscht wird. Und dennoch: Das Kind, das es nicht geben wird, spukt immer noch viel zu oft in meinem Kopf herum. Ich sehe es mit unserem Sohn im Urlaub zusammen am Strand herumlaufen und daheim um Spielzeug streiten. Ich habe kein Geschlecht oder Gesicht vor Augen, nur dieses wohlige Gefühl, miteinander vollständig zu sein. Ich finde den Gedanken schön, noch einmal dabei zu sein, wie ein neues, unverwechselbares Leben entsteht, dass es andernfalls nicht geben würde. Ich würde mich freuen, wenn unser Sohn jemanden hätte, mit dem er noch über die Macken der Eltern lästern könnte, wenn es diese schon gar nicht mehr gibt.

Ich denke oft an die Zeit zurück, in der mein Sohn ein Baby war. Ich würde das gerne nochmal erleben. Foto: Bigstock

Manchmal grolle ich meinem Mann sogar, auch wenn das kleinlich wirkt. Er ist so glücklich, wenn er sieht, wie lieb sich seine beiden Kinder haben. Ich freue mich auch, aber wünsche mir zugleich für mich dasselbe. Und zwar jeden Tag. Leider ist mir einmal herausgerutscht, dass ich traurig darüber bin, dass unser Sohn als Einzelkind aufwächst. Was für ein blöder Kommentar gegenüber einem Mann, der zwei Kinder hat, die er gleich liebt. Ich hatte es für eine Sekunde vergessen, weil wir seine Tochter höchstens alle zwei Wochen sehen und jetzt, wo sie größer ist und schon so viele eigene Termine hat, eher noch seltener.

Wenn man nur 30 von 365 Tagen im Jahr miteinander verbringt, entwickelt man keine Liebe, die sich anfühlt wie die von Mutter und Kind. Die gegenseitige Sympathie und Akzeptanz, die wir haben, sind schön, aber nicht dasselbe. Wenn sie wieder heimfährt, freut sie sich auf ihre kleine Schwester, die zwei Jahre älter ist als unser Sohn und die ihr natürlich noch nähersteht, während der Kleine traurig ist, dass er seine Schwester wieder so lange nicht sehen wird. Auch dann ärgere ich mich, dass es für ihn (und mich) nicht noch ein Geschwisterchen geben darf, mit dem wir auch den Alltag teilen können.

Ausblick mit einem Rest Wehmut

Aber ich muss sagen, dass es besser wird. Unser Sohn wird bald vier Jahre alt und der Altersabstand zwischen ihm und einem weiteren Kind würde bald so groß, dass sie doch wieder wie Einzelkinder aufwachsen würden. Und natürlich gäbe es auch sonst keine Garantie, dass sie sich gut verstehen und immer füreinander da sein könnten.

Es passiert seltener, dass ich beim Anblick von Geschwistern sehr traurig werde, oder dass ich meinem Mann böse bin, weil ich das Gefühl habe, dass er mir etwas verwehrt, was er selbst in meinen Augen hat. Es wäre Unsinn, ein funktionierendes und meistens glückliches Familienleben damit zu vergiften. Aber dass mich der Kummer ganz loslässt, das dauert sicher noch eine Weile. Vielleicht ist da ja irgendwo in mir immer noch ein kleiner, fieser Funke Hoffnung auf ein zweites Kind, der erst verfliegt, wenn ich keinen Kinder mehr bekommen kann…

Tamara Müller
Als süddeutsche Frohnatur liebe ich die Wärme, die Berge und Hamburg! Letzteres brachte mich vor sieben Jahren dazu, die Sonne im Herzen zu speichern und den Weg in Richtung kühleren Norden einzuschlagen. Ich liebe die kleinen Dinge im Leben und das Reisen. Und auch wenn ich selbst noch keine Kinder habe, verbringe ich liebend gerne Zeit mit ihnen.

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