Frühe Fehlgeburt: Dieser Tagebuch-Eintrag rettete mich, als es kein anderer tat

Unsere Echte Mama Mia (27) verlor vor sechs Jahren in der 11. Schwangerschaftswoche ihr Baby. Ein unfassbar schreckliches Erlebnis, dass jeder Mutter den Boden unter den Füßen wegreißt. Umso schlimmer war es, dass Mias Umfeld kein Verständnis für ihren großen Schmerz hatte. „Nun ist es aber auch mal gut, das war doch erst ein kleiner Zellhaufen“ – solche Sprüche musste die Mama zusätzlich ertragen. Fast niemand sah ihren Verlust schon als echten Menschen an. Mia aber, sie vermisste ein Kind – ihr Kind. Sie lernte, still zu trauern – und ihre Gefühle in einem Brief an ihr Sternchen zu verarbeiten.

Wir sind berührt, dass wir diesen Text veröffentlichen dürfen. Und hoffen, dass er vielen Mamas in ähnlichen Situationen Kraft gibt:

„Mitten in der Nacht trifft er mich ganz unvermittelt. Wie ein Schlag in die Magengrube überfällt mich ein unsagbarer Ekel gegen die Welt. Es gibt keine Vorzeichen und er baut sich auch nicht langsam auf. Es ist eher wie eine Schusswunde! Plötzlich ist er existent, so abrupt, als habe ihn mir jemand anderes zugefügt.

Ich stehe auf und lasse mir ein Glas klares Leitungswasser aus dem Hahn laufen. Während ich Schluck um Schluck trinke, kann ich mich erinnern…

Zu viele Gefühle schwappen in mir hoch, schlagen wie Wellen mit einer gefährlichen Brandung durch jedes meiner Körperteile. Sich zu erinnern, bedeutet für mich, die Kontrolle zu verlieren.

Ich versuche mich abzulenken, beobachte den Wasserhahn, der viel zu laut vor sich hin tropft. Als würde er die Stille nicht aushalten können. Die nächtlichen Geräusche beruhigen mich, ein Auto fährt leise vorbei, irgendwo schreit eine Katze und das Ticken der Uhr bringt meinen Puls wieder in Ordnung.

Ich weiß, dass diese Attacken mich kaputt machen, mit jedem mal wird es heftiger. Schon lange habe ich keine Nacht mehr richtig durchgeschlafen, manchmal schaffe ich es wenigstens, ein paar Stunden zu schlafen. Diese Nächte sind immer ein Triumph für mich. Ein Triumph über meine Gedanken und mich.

,Es wird besser werden!`, wurde mir oft gesagt. ,Stell dich nicht so an!´ und ,Langsam solltest du die Vergangenheit ruhen lassen.´ Von Menschen gesagt, die im nächsten Moment lachten und von ihrem letzten Urlaub erzählten.

Es schmeckt so bitter, wenn man sich für seinen Schmerz rechtfertigen muss, wenn man das Gefühl vermittelt bekommt, es ist jetzt nicht mehr in Ordnung der Mensch zu sein, der man nun mal geworden ist.

Der Ekel, der mich nachts so oft überkommt, lässt mich daran zweifeln, ob ich wirklich Teil dieser Welt sein möchte. Ob auch ich ein Mensch sein möchte, der lieber lächelt und nickt, auf die Frage ob es ihm gut gehe, so wie es jeden Tag zig Millionen Menschen machen, um sich im nächsten Moment umdrehen, um ihre Tränen wegzuwischen. Diese Oberflächlichkeit widert mich an, als ob es damit getan wäre ,Heile, heile Segen´ zu singen und auf die Wunde zu pusten. Als ob man nach sieben Tagen Sonnenschein tatsächlich diesen Schmerz nicht mehr spüren kann.

Während ich durch das Fenster die Nacht beobachte und meinen Kopf am Fensterglas kühle, höre ich förmlich die Stimme meiner Mutter ganz nahe an meinem Ohr. Oft hat sie gesagt, ich müsse loslassen und dass die Zeit meine Wunden heilen lassen würden. Es passiert doch so vielen, die schaffen das ja auch. Sie hat es sicherlich gut gemeint, es hat mich nur einfach nicht geholfen.

Ich merke, dass ich langsam von mir selbst überrollt werde, von Gefühlen die ich verstecke und von Gedanken, die ich weggeschlossen habe.

Ich hauche an die Scheibe und durch die Wärme beschlägt sie sofort. Meine Finger malen ein Herz, ein Herz für Dich und während ich das Herz beobachte, wie es langsam verschwindet, überrollt mich die nächste Welle von Schmerz.

Galle steigt meine Speiseröhre hoch, während mich der Ekel und der Schmerz über mich selbst packt und der Ekel über die Welt, die sich einfach weiter dreht – ohne mich mitzunehmen.

Und dieses Mal lass ich es zu. Am Anfang sind es nur kleine Tränen über Erinnerungen, bis mich die Realität, dass du nicht bei mir bist die Luft nimmt. Du wurdest mir einfach weggenommen. Ich wollte Dich so unbedingt, aber ich konnte dich nicht festhalten. Ich war nicht stark genug für Dich und du zu schwach für mich.

Tränen rollen und ich schreie vor Schmerz, ohne überhaupt einen Laut von mir zu geben. Ich bilde mir oft ein dich noch spüren zu können, wie ein kleiner Schmetterling, der durch meinen Bauch flattert. Tränen rollen weiter, bilden einen Bach und ich bilde mir ein dein Gesicht erkennen zu können.

Ich halte mich selbst, umarme mich. Wiege mich und lasse es zu, die Kontrolle zu verlieren, falle einem dunklen Loch entgegen.

Die Kälte weckt mich, ich versuche mich zu bewegen und merke, dass mir alles weh tut. Die Sonne strahlt mich durch das Fenster an. Während ich versuche, zu begreifen was passiert ist und wie spät es ist, höre ich kleine Schritte und sehe einen kleinen Engel auf mich zu rennen.

Mama, ruft dieser kleiner Engel, Mama, es ist alles einfach gut. Einfach alles gut, flüstere ich. Mein Kind. Mein Herz.

Laura Dieckmann
Als waschechte Hamburgerin lebe ich mit meiner Familie in der schönsten Stadt der Welt – Umzug ausgeschlossen! Bevor das Schicksal mich zu Echte Mamas gebracht hat, habe ich in verschiedenen Zeitschriften-Verlagen gearbeitet. Seit 2015 bin ich Mama einer wundervollen Tochter.

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