Ellbogen-Mentalität bringt dein Kind nicht weiter – oder doch?

Seitdem meine zwei Kinder und ich mit unserem Camper durch Deutschland fahren, merke ich, dass ich leider häufig ins Schwarz-Weiß-Denken verfalle, was andere Kinder betrifft. Es gibt nur a) niedlich und mag ich und b) finde ich anstrengend und mag ich nicht.

Ja, ich kann froh sein, keine Lehrerin geworden zu sein (mehrere Jahre Studium für diese eine Erkenntnis), denn ich wäre niemals fair gewesen. Ich bin null objektiv, was Kinder betrifft. Bei aller Mühe nicht. Schade, ich wäre gerne anders. Ich versuche es auch. Aber manche Kinder nerven mich.

Auf dem letzten Campingplatz, auf dem wir länger verweilten, waren es die „Ich weiß alles besser“-Kinder. Sie haben grundsätzlich meinen Kindern Emil, 6 Jahre, und Ida, 3 Jahre, alles aus der Hand gerissen mit den Worten: „Das kannst du noch nicht.“ „Ich kann das besser.“ „Das darfst du nicht, das dürfen nur die, die das schon mal gemacht haben.“

Selbst während Email ein Pony im Kreis führte, kamen andere Kinder an und rissen Emil den Führstrick aus der Hand mit den Worten: „Das kannst du nicht.“

In mir war Wut und auf dem Platz war Emil, der etwas hilflos herumstand und seinem Pony hinterher sah. Selbst ich wurde von einem dieser leicht rabiaten Kinder zur Seite gestoßen, als ich mit Ida die Hufe auskratzen wollte. „Ich mach das lieber. Es ist besser, wenn das jemand macht, der das kann.“

Muss man Kindern bockig widersprechen? „Hey, ich hatte auch ein Pferd bis ich 19 war. Ich weiß sehr wohl wie das geht.“ Aber begebe ich mich dann nicht auf kindliches Niveau? Kann ich nicht erwachsen reagieren? Ich sage nur: „Wir hätten das auch geschafft.“ Interessiert aber keinen. Ida steht mit ihrem kleinen Hufkratzer am Rand. Mache ich meine Kinder nicht stark genug?

Auf dem jetzigen Campingplatz sind es die Ärgerer. Sie nutzen jede Gelegenheit, die Kleineren auszuschließen, das Bällebad für sich zu beanspruchen und jeden zu schubsen, ihm die Schuhe wegzunehmen oder zu beschimpfen, der sich ihrem Refugium nähert.

Gerne beanspruchen sie gerade den Platz, wo sich die Kleinen aufhalten. Wenn also alle Kleinen an der Rutsche spielen, schlagen sie dort zu. Ziehen sie sich ins Bällebad zurück, kommen sie nach. Sie nerven mich. Jungs, die Kleineren einen dreckigen Putzlappen übers Gesicht werfen und sich tot lachen. Ja, lacht ihr nur! Ich versuche es mit wirklich bösen Blicken. Sie versuchen, sich dem Blickkontakt zu entziehen und versuchen es woanders.

Einmal steht ein Kettcar eine halbe Stunde vor dem Restaurant herum. Die Kettcars kann man sich einfach aus einer Scheune holen. Ich sehe aus den Augenwinkeln, wie Emil zögert. Und zögert. Wie er abwägt, sich wieder umsieht. Dann endlich faßt er den Mut und setzt sich drauf. Weit und breit niemand zu sehen. Er fährt eine Runde. Aus dem Kinderparadies stürmt einer der älteren Jungs heran. So schnell kann der erschrockene Emil gar nicht abspringen. „Hey, wer hat dir erlaubt das zu nehmen?“ brüllt er. Jetzt reicht es aber, denke ich.

„Die lassen mich nicht mitspielen,“ sagt Emil am Abend betrübt. Das Bällebad ist längst wieder von den Großen eingenommen worden. Die Kleinen ziehen sich zurück. „Weißt du,“ sage ich. „Menschen, die andere mit Absicht ärgern, die werden irgendwann merken, dasß man damit nicht weit kommt.“

Und ich rede und glaube mir auf einmal selbst nicht mehr. Stimmt das denn? Nein, das stimmt tatsächlich gar nicht. Oder nur bedingt.

Bei unserem letzten Urlaub mit Freunden in Griechenland wimmelte es von Oberärzten – mein Mann ist ja auch einer. Die Kinder der ganzen Oberärzte, die ja unsere Freunde sind, haben es mit der Gerechtigkeit auch nicht so genau genommen. Sie haben sich die Schaukeln am Strand genauso erkämpft wie die beliebtesten Wasserspielzeuge. Einmal hörte ich wie einer zu Emil sagte: „Wenn du die Schaukel nicht frei machst, bringt mein Papa dich um!“

Ja, was für ein dummer Spruch. Im Eifer des Gefechtes. Natürlich totaler Quatsch. Kinder erzählen Quatsch.

Emil ging natürlich trotzdem von der Schaukel. Beim Abendessen wurde über den Testosteron–Spiegel der Jungs geredet. Die werden sich irgendwann durchsetzen!

Ich blieb still. Ist es so? Was wird denn dann aus Kindern wie Emil? Die sich nicht wehren. Die immer so um Harmonie bemüht sind, die heimlich weinen, wenn jemand einen Grashüpfer quält. Ist es so, dass Ellbogen-Mentalität einen doch weiter bringt?

Wenn am Ende nur die Sanften, die Gutmenschen siegen, die, die Tiere nicht quälen, andere nie von Schaukeln schubsen und sich auch noch die Ponys aus der Hand nehmen lassen, woher kommen dann all die skrupellosen Manager und ein Präsident wie Donald Trump?

Aber natürlich ist das ein schmaler Grad. Kinder, die sich durchsetzen, werden ja nicht automatisch zu Tierquälern oder skrupellosen Chefs. Vielleicht haben sie es später wirklich ein bißchen leichter. Wenn man weiß, was man will, kann man das mit einem großen Selbstbewußtsein wahrscheinlich viel besser umsetzen. Auch die guten Dinge.

Emil und Ida haben gelernt „Nein“ zu sagen, das hat ein bißchen gedauert. Sie lassen sich nicht mehr alles wegnehmen. Sie setzen sich auch mal durch, aber nicht um jeden Preis. Sie sind dadurch nicht besser oder schlechter als andere Kinder. Sie werden ihren Weg gehen, bestimmt einen guten; ich hoffe, dass sie damit glücklich werden.

Aber ich weiß auch, daß ich meinen Eltern in ihrer Erziehung nur einmal wirklich einen Vorwurf gemacht habe: Warum zum Teufel habt ihr nie gestritten! Ich habe wirklich überhaupt keine Streitkultur gelernt. Wenn es Streit gab, war ich ohnmächtig. Ich kämpfte wie besessen um Harmonie, um jeden Preis. Es hat lange gedauert, bis ich gelernt habe, dass Streit keinen Bruch bedeuten muss.

Ich hoffe, dass Emil und Ida mir nicht eines Tages den Vorwurf machen, warum ich sie nicht etwas stärker gemacht habe im Umgang mit anderen. Zu viel Rücksicht ist vielleicht auch nicht gut.

Miriam Boettner ist Fotografin, Bloggerin und Autorin. Sie hat zwei Kinder, Emil und Ida. Und einen Mann: Paul. Mehr tolle Geschichten findest du auf ihrem Blog „Emil und Ida“. Wenn sie nicht in ihrer Heimatstadt Hamburg ist, ist sie mit ihren Kindern auf Abenteuerreise durch Deutschland: „Kleine Landstreicher“.

Tamara Müller
Als süddeutsche Frohnatur liebe ich die Wärme, die Berge und Hamburg! Letzteres brachte mich vor sieben Jahren dazu, die Sonne im Herzen zu speichern und den Weg in Richtung kühleren Norden einzuschlagen. Ich liebe die kleinen Dinge im Leben und das Reisen. Und auch wenn ich selbst noch keine Kinder habe, verbringe ich liebend gerne Zeit mit ihnen.

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